Medizin Pharmaindustrie sponsert Bonner Ärzte

Bonn/Hamburg · Eine Datenbank von „Spiegel Online“ und dem Recherchenetzwerk "Correctiv" legt die Nebenverdienste von Medizinern offen. 2015 flossen bundesweit rund 575 Millionen.

 Mediziner in Deutschland haben oft Nebenverdienste. 20.000 legten jetzt diese Einkünfte offen.

Mediziner in Deutschland haben oft Nebenverdienste. 20.000 legten jetzt diese Einkünfte offen.

Foto: dpa

Es sind stolze Zahlen, die seit Donnerstag in einer Datenbank von „Spiegel Online“ und dem Recherchenetzwerk „Correctiv“ für jeden sichtbar sind. Dort gibt es basierend auf Daten des Vereins „Freiwillige Selbstkontrolle der Arzneimittelindustrie“ (FSA) erstmals genaue Angaben zu den Geldsummen, die Ärzte in Deutschland von der Pharmaindustrie 2015 kassiert haben.

Unter ihnen der Bonner Internist Jürgen Rockstroh. Von allen Ärzten, die der Veröffentlichung zustimmten, erhielt Rockstroh nach einem Bochumer Kollegen die höchsten Zahlungen. Der Mediziner bekam im vergangenen Jahr von verschiedenen Arzneimittelherstellern gut 148 000 Euro. Rockstroh ist Professor für Innere Medizin und Oberarzt an der Medizinischen Klinik und Poliklinik I der Universität Bonn.

„Ich bin für Transparenz in der Zusammenarbeit zwischen Pharmaunternehmen und Ärzten. Nur so lässt sich für die Öffentlichkeit nachvollziehen, wie wir im Gesundheitssystem zusammenarbeiten“, erklärte Rockstroh dem General-Anzeiger. Das Geld kassierte der HIV-Experte für Vorträge bei Fortbildungen, Reisen und Beratungen bei Studienentwicklungen für neue Medikamente.

„Dass für solche Dienstleistungen ein Honorar bezahlt wird, entspricht der Zeit und dem Arbeitsaufwand, der damit verbunden ist“, sagte Rockstroh, der von 2007 bis 2011 im Vorstand der Deutschen Aids-Gesellschaft war. Da er im Uniklinikum eine 80-Prozent-Stelle besetze, habe er zudem Zeit für externe Beratungen.

In der Datenbank, in der jeder Internetnutzer Ärzte nach Namen, Ort und Postleitzahl suchen kann, sind für Bonn über 50 medizinische Einrichtungen und Praxen zu finden. Demnach gingen an das Bonner Universitätsklinikum im Jahr 2015 knapp 364 000 Euro. Darunter fallen unter anderem Honorare, Sponsoringverträge und Sachspenden. Die Kölner Uniklinik kassierte eine halbe Million Euro.

Die rund 20 000 Ärzte, die ihre Nebeneinkommen jetzt für alle sichtbar machen, sehen sich als Vorreiter in Sachen Transparenz. Zwei Drittel ihrer Kollegenschaft stimmten der Veröffentlichung ihrer Namen hingegen nicht zu. Nach Berechnungen von „Spiegel Online“ und „Correctiv“ kassierten bundesweit rund 71 000 Ärzte und Fachkreisangehörige sowie 6200 medizinische Einrichtungen vergangenes Jahr 575 Millionen Euro von den 54 größten Mitgliedern der FSA. 119 Millionen Euro zahlten die Pharmaunternehmen laut FSA für Vortragshonorare, Fortbildungsveranstaltungen und Reisespesen an Ärzte. Im Schnitt flossen aus diesem Topf rund 1646 Euro an jeden der 71 000 Ärzte. Hinzu kommen insgesamt 366 Millionen Euro als Honorar für Anwendungsbeobachtungen und andere medizinische Studien, zu denen die Firmen keine genauen Angaben machen. Die größten Geldgeber waren nach Angaben von „Spiegel Online“ Novartis sowie Bayer und Berlin-Chemie.

Klaus Lieb, Mitglied der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), ist enttäuscht, dass nur 29 Prozent der Ärzte einer Veröffentlichung zugestimmt haben. „Transparenz sieht anders aus“, sagte Lieb. „Wir Ärzte haben bezüglich Interessens-konflikten einen blinden Fleck“, kritisiert der Mediziner. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) sagte Correctiv, neben den bereits bestehenden gesetzlichen Regelungen zur Transparenz und Korruptionsbekämpfung seien „zurzeit keine weiteren Gesetze geplant“. Maßnahmen wie in den USA, wo Pharmafirmen gesetzlich verpflichtet sind, Summe und Namen der Ärzte zu veröffentlichen, lehnt er ab. Die Regelungen stünden in der Kritik, weil sie geeignet seien, wegen der kontextlosen Darstellung der Zahlungen grundsätzlich unter den Verdacht der Korruption zu stellen. ⋌

www.correctiv.org/euros

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