Fliesenlegerhandwerk "Ohne Korrektur stirbt der Berufszweig"

BONN · Kaum Nachwuchs, hohe Schäden, schlechter Ruf: "Ohne Korrektur stirbt der Berufszweig", lautet unisono die Bilanz des Zentralverbands des Deutschen Baugewerbes (ZDB) und der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau) rund zehn Jahre nach der Abschaffung der Meisterpflicht im Fliesenlegerhandwerk.

 Auf Präzision kommt es an: Der deutsche Fliesenleger Johannes Fleischmann nimmt an einem Berufs-Wettbewerb in London teil.

Auf Präzision kommt es an: Der deutsche Fliesenleger Johannes Fleischmann nimmt an einem Berufs-Wettbewerb in London teil.

Foto: dpa

Und sie geizen nicht mit Ziffern: Die Zahl der Fliesenlegerbetriebe hat sich seit der Abschaffung der Meisterpflicht für Fliesenleger zum 1. Januar 2004 mehr als verfünffacht. Waren im Jahr 2004 in Deutschland etwa 12.000 Fliesenlegerbetriebe eingetragen, waren es am 31. Dezember 2012 mehr als 68.000; darunter 18.500 Betriebe, deren Inhaber aus den Staaten Mittel- und Osteuropas kommen.

Vor der Novelle der Handwerksordnung habe die Zahl der bestandenen Meisterprüfungen im Fliesenlegerhandwerk konstant bei etwa 550 pro Jahr gelegen, mittlerweile seien es noch knapp 100 Meisterprüfungen - ein Rückgang um 80 Prozent.

Auch die Ausbildungsleistung habe um mehr als die Hälfte abgenommen. Wurden im Jahr 2002 deutschlandweit noch knapp 4500 Fliesenleger ausgebildet, so waren es den Angaben zufolge im Jahr 2012 nur noch gut 2000. Langfristig fehlten dadurch qualifizierte Mitarbeiter und Meister, die ihr handwerkliches Fachwissen weitergeben. "Wir leiden heute noch unter der 2003 durchgeführten Änderung der Handwerksordnung. Diese Deregulierungspolitik verfehlt ihren Zweck", klagt der Präsident der Handwerkskammer zu Köln, Hans Peter Wollseifer.

Jeder, der möchte, kann sich seither auch ohne einschlägige fachliche Qualifikation als Fliesenleger selbstständig machen. Das hat Folgen, über die sich auch Fliesenlegermeister Tarkan Kus aus Wachtberg-Niederbachem ärgert. Es komme oft vor, dass er von Hausbesitzern zur verwaisten Baustelle gebeten wird, um miserable Fliesenlegerarbeiten zu reparieren oder zu Ende zu bringen, weil sie den Billiganbieter rausgeworfen haben.

"Die Platten klingen hohl", habe etwa ein Auftraggeber gesagt. Kein Wunder, sagt Kus: "Die Fliesen waren nur punktuell angeklebt." Wie beim Basteln in der Grundschule. "Wenn ich so etwas sehe, bin ich direkt wieder weg." Der Meister mit dem Kleinstbetrieb kann nicht verstehen, wie Hausbesitzer mitunter fünf-, sechs- oder gar 7000 Euro für Badezimmerfliesen ausgeben und am Ende 1000 Euro beim Verleger sparen wollen: "Das passt irgendwie nicht zusammen."

Außerdem würden sich Fachfremde wie beispielsweise Trockenbauer oder Maler als Fliesenleger anbieten - ganz nach dem Motto: Jeder kann alles. "Das ist absurd. Ich mache doch auch keine Malerarbeiten." Hinzu komme, dass er handfeste Probleme habe, gute Gesellen zu bekommen. "Die arbeiten für sich, das ist auch okay."

Aber der bestehende Mangel an qualifizierten Fachkräften habe sich dadurch aus seiner Sicht zusätzlich verschärft. Auch die beliebige Preisgestaltung habe laut ZDB zu einem gnadenlosen Unterbietungswettlauf geführt. Osteuropäische Firmen würden Preise kalkulieren, die ein ortsansässiger Meisterbetrieb, der seine Beschäftigten nach Tarif entlohnt, nicht anbieten könne. Selbst florierende Unternehmen sehen sich nach Angaben des ZDB gezwungen, langjährige Mitarbeiter zu entlassen. Diesen blieb nur der Weg, sich - meist als Ein-Mann-Betrieb - selbstständig zu machen, auch als Scheinselbstständige. Als solche haben sie keinen Anspruch auf den Tariflohn.

"Der Wegfall der Meisterpflicht für Fliesenleger hat in eine Sackgasse geführt", findet auch der stellvertretende IG Bau-Bundesvorsitzende Dietmar Schäfers. "Wird dem nicht schnellstens entgegengesteuert, wird es in wenigen Jahren so gut wie keine Qualitätsbetriebe in dieser Branche mehr geben. Das Know-how ist dann ein für allemal weg und ein einst stolzer Handwerkszweig damit Geschichte. Verbraucher, die dann verlässliche Qualität für ihre Immobilie wollen, werden lange suchen und dabei viel Glück haben müssen, bis sie einen qualifizierten Fachmann finden."

IG Bau und ZDB fordern von der neuen Regierung eine Rückkehr zur Meisterpflicht im Fliesen-, Platten- und Mosaiklegerhandwerk. Aber daran ist kaum zu denken. Im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) ist man der Ansicht, dass die Abschaffung der Meisterpflicht im Fliesenlegerhandwerk "den Wettbewerb forciert und zu einer Erweiterung des Leistungsspektrums auf Seiten der Anbieter geführt" hat. Auch zugunsten der Verbraucher, die "in den Genuss einer Ausweitung des Leistungsspektrums" kämen. Außerdem hätten sich viele Gründungswillige, die nicht über die Meisterqualifikation verfügen, erstmals legal selbstständig machen können.

Und so soll es wohl auch bleiben, wie ein Sprecher des BMWi mitteilt: "Änderungen der durch die Novelle 2003 eingeführten Regelungen zum Fliesenlegerhandwerk sind derzeit (...) nicht vorgesehen."

Tatsächlich ist im Bezirk der Handwerkskammer zu Köln die Zahl der Anmeldungen bei den Meisterkursen der Fliesenleger zwischen den Jahren 2000 und 2012 etwa um die Hälfte gesunken, wobei die Talsohle laut Pressesprecher Rainer Gutmann durchschritten scheint. Gutmann rät Meistern, ihren Titel deutlich erkennbar für Kunden herauszustellen und offensiv damit zu werben.

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