Ohne Einsicht folgt die Kündigung

Betriebe in Bonn und dem Rhein-Sieg-Kreis klagen über geringere Sozialkompetenzen der Lehrlinge - Gewerkschaft: Druck und Überstunden nehmen zu, Vertrauen sinkt - "Doktor Azubi" soll helfen

Ohne Einsicht folgt die Kündigung
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Bonn. "Ausbildung ist eine gute Möglichkeit, Fachkräfte für unser Unternehmen zu gewinnen, aber wenn Azubis sich wiederholt nicht an die Spielregeln halten, ziehen wir die Konsequenzen", sagt Andreas Domschke, Geschäftsführer der Creditreform Bonn. "Eine unserer Auszubildenden hat täglich mehr als sechs von acht Arbeitsstunden mit Surfen im Internet verbracht." Für die junge Frau folgte die Kündigung.

Auch die Bäckerei Eich, im Rhein-Sieg-Kreis mit elf Filialen vertreten, und die Werbeagentur Schaab aus Siegburg haben schlechte Erfahrungen mit ihren Lehrlingen gemacht. Claudia Siegmund, Inhaberin der Bäckerei Eich, weiß nicht, was junge Menschen dazu treibt, ihren Ausbildungsplatz so leichtfertig zu riskieren. In ihrem Betrieb werden regelmäßig Bäckerlehrlinge und Bäckereifachverkäuferinnen ausgebildet. Doch immer weniger junge Menschen seien bereit, früh aufzustehen und handwerklich zu arbeiten. Deswegen falle es schwer, die Plätze überhaupt passend zu besetzen.

"Eine künftige Auszubildende hat schon im Vorpraktikum trotz Rauchverbots geraucht, wo und wann sie wollte." Als Gespräche nicht zu Verständnis und Einsicht führten, hätte sie die Ausbildung beenden müssen, bevor sie richtig begonnen hatte, bedauert Siegmund.

Über Probleme mit Lehrlingen ist auch Jürgen Hindenberg, Geschäftsführer Aus- und Weiterbildung bei der Industrie- und Handelskammer Bonn/Rhein-Sieg informiert. "Viele Betriebe bemängeln, dass sich die Sozialkompetenzen bei Azubis verändert haben", so Hindenberg. Die Betriebe müssten immer mehr Ersatzfunktion für Eltern oder Staat übernehmen und das führe zu hohen Klagen. In den Mitgliedsunternehmen der IHK Bonn/Rhein-Sieg waren nach eigenen Angaben zum Ende letzten Jahres 6938 Auszubildende beschäftigt. Die Zahl der neu eingetragenen Ausbildungsverträge zum 31. Juli 2006 belief sich auf 2030. Derzeit meldet das Arbeitsamt 244 offene Ausbildungsplätze für das bevorstehende Ausbildungsjahr.

Diese Erfahrung teilt auch Patrick Schaab, Inhaber der gleichnamigen Werbeagentur in Siegburg. "Einmal habe ich mit einem Azubi ein Orientierungsgespräch geführt. Auf Kritik hin stand er mit den Worten auf, so was müsse er sich nicht geben, und ward nie wieder in der Agentur gesehen".

Die Schuld nur bei den Auszubildenen zu suchen, sei jedoch nicht richtig, betont Hindenberg. "In der Region Bonn/Rhein-Sieg gibt es viele kleine und mittelständische Unternehmen, deren Personal vielleicht nicht immer gut genug geschult ist, um auf Probleme richtig zu reagieren." Auch Marco Frank, politischer Referent des Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) Bundesvorstands im Bereich Jugend in Berlin, weiß, dass viele Auslöser für Probleme auch beim Ausbilder zu finden sind. "Der größte Teil der Ausbildungsbetriebe ist gut. Aber die Zahl der Schwarzen Schafe steigt."

Viele Lehrlinge müssten ausbildungsfremde Tätigkeiten übernehmen oder hätten großen Druck, Überstunden zu machen. Außerdem herrsche insbesondere in freien Berufen wie zum Beispiel bei Zahntechnikern oder im Hotelgewerbe ein rauer Ton. "Viele Auszubildende haben schon Angst, morgens in den Betrieb zu gehen", so Frank. Diese Tendenz belegen auch die Hilferufe, die Lehrlinge an "Doktor Azubi", einen Service des DGB, wenden. "2003, als die Hilfsplattform anlief hatten wir Einträge mit meist mittelschwerer Dringlichkeit. Heute gibt es gehäuft Hilferufe auf Grund von Angstzuständen und Verletzungen des Jugendarbeitsschutzgesetzes", so Frank. Die Ausbildungsqualität lasse bei immer mehr Betrieben zu wünschen übrig, weil bekannt sei, dass junge Leute keine andere Wahl hätten als die Ausbildung trotz Mängeln zu beenden, so Frank.

Internet: www.doktor-azubi.de

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