Interview mit Handelsexperte Thomas Roeb "Karstadt auf junge Kunden ausrichten"

RHEINBACH · Nach dem Eigentümerwechsel durch den österreichischen Investor René Benko steht Karstadt vor einer ungewissen Zukunft. Ein Unternehmen, das sich wirtschaftlich nicht hält, sei auch nicht wichtig für den Kunden. Das sagt Wirtschaftswissenschaftler Thomas Roeb von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Henriette Jedicke hat mit ihm über die Probleme der Warenhauskette gesprochen.

 Thomas Roeb ist Leiter des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften an der Fachhochschule Bonn-Rhein-Sieg in Rheinbach. Repro: GA

Thomas Roeb ist Leiter des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften an der Fachhochschule Bonn-Rhein-Sieg in Rheinbach. Repro: GA

Wann waren Sie das letzte Mal bei Karstadt einkaufen?
Thomas Roeb: Ich habe Karstadt nicht in der Nähe. Dafür müsste ich extra nach Köln fahren. In Düren gibt es Kaufhof. Da war ich vor ein paar Wochen und habe Spielzeug gekauft. Die sind ziemlich leistungsfähig bei Spielzeugen. Wenn ich in Köln bin, dann gehe ich nicht zu Karstadt, weil der nicht hat, was ich brauche - speziell im Bereich Mode.

Was müsste Karstadt bieten, damit Sie hingingen?
Roeb: Karstadt müsste sich mehr auf jüngere Kunden ausrichten. Das Problem ist nicht, dass Karstadt das nicht erkannt hat. Karstadt ist jetzt auf die Zielgruppe 40+ ausgerichtet. Nicht weil sie es unbedingt wollten, sondern weil sie nicht rechtzeitig gegengesteuert haben. Unglücklicherweise hat Karstadt nur noch diese Zielgruppe. Niemand, der Mitte 50 ist, trägt noch beigefarbene Klamotten und Kreppsohlen. Die Leute tragen zusehends jugendlichere Sachen. Mein Vater ist jetzt 80 geworden und nicht mal der trägt beige-grüne Kleidung und Kreppsohlen.

Benötigt eine Stadt wie Bonn dann Karstadt überhaupt noch, um weiterhin ein attraktives Zentrum zu haben?
Roeb: Wenn die Leute wichtig fänden, was Karstadt bietet, dann würden sie hingehen. Das finden sie im Moment aber offensichtlich nicht. Also braucht Bonn Karstadt nicht, unabhängig davon, dass Bonn natürlich etwas fehlt, wenn es Karstadt nicht gäbe. Dennoch: Ein Unternehmen, das sich wirtschaftlich nicht hält, ist tendenziell auch nicht wichtig für die Kunden.

René Benko hat die Idee, mehr Markenshops in die Karstadt-Häuser zu holen. Sinnvoll?
Roeb: Das halte ich für eine naheliegende Idee. Das hat in Österreich und anderen Ländern gut funktioniert. Irgendwie muss das Angebot ja attraktiver gemacht werden. In Ansätzen macht Karstadt das sogar schon. Allerdings liegt auch hier ein Problem: Wenn Karstadt in Bonn einen Esprit-Shop hat und wenige Meter weiter ist ein Original-Shop, dann ist das problematisch. Davon unabhängig: René Benko muss jetzt vernünftig sanieren. Die Kosten in den Griff zu kriegen, ist das Wichtigste.

Das könnte zulasten der Mitarbeiter gehen. Ist deren Angst berechtigt?
Roeb: Mit den Mitarbeitern habe ich nur minimal Mitleid. Sie bekommen bis zu 30 Prozent mehr als die Mitarbeiter von H&M, New Yorker oder Zara. Wer bereits in den 90er-Jahren bei Karstadt arbeitete, hat richtig gutes Geld verdient. Der damalige Chef hat sich den Burgfrieden mit immer neuen Zugeständnissen an die Betriebsräte erkauft. Und die haben sich darauf beschränkt, immer mehr Geld zu verlangen. Heute sagen die Mitarbeiter, dass sie Zugeständnisse gemacht haben. Das haben sie, indem sie auf Geld verzichtet haben, das ihnen in den 90er-Jahren versprochen wurde. Aber niemand stellt die Frage, ob das Geld, das ihnen damals zugesagt wurde, auch nur ansatzweise nachhaltig gewesen ist.

Das heißt, die Karstadt-Mitarbeiter dürfen sich heute nicht beschweren?
Roeb: Ich finde das Klagen verständlich, aber unangemessen. Vor allem deshalb, weil man gegen die ganz offensichtlich unangemessenen und sogar schädlichen Maßnahmen von Jennings, dem Chef von Berggruens Gnaden, nichts unternommen hat. Man hat zugeschaut, wie er das Unternehmen gegen die Wand gefahren hat. Auch über die offensichtliche Investitionsunwilligkeit Berggruens hat man sich nur gelegentlich beklagt. Erst jetzt, wo es kracht, schreit man nach dem Rettungswagen, dem Großinvestor. Warum man nicht vorher geschrien hat, dass auf die Bremse getreten werden muss, das ist mir unbegreiflich. Große Demonstrationen von Mitarbeitern vor Karstadt-Filialen gab es jedenfalls nicht.

Das Konzept von Kaufhof scheint etwas besser zu funktionieren. Sind die über den Berg?
Roeb: Auch Kaufhof verliert Umsatz, aber so langsam, dass sie in der Lage sind, sich darauf einzustellen. Und man hat da auch wirtschaftliche Mittel, um den Rückgang abzufedern. Und genau das hat bei Karstadt eben nicht funktioniert. Karstadt hat man die Mittel für Investitionen geraubt. Dadurch war man zu schwach, um ausreichend Gegenmaßnahmen zu ergreifen, und dadurch ist Karstadt in eine Art Teufelskreis geraten. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass Kaufhof auch seine Probleme hat.

Im Ausland scheint das Konzept einer "Warenhauskette" besser zu funktionieren. Woran liegt das?
Roeb: Warenhäuser im Ausland haben ein anderes Maß an Akzeptanz. In England beispielsweise ist die Ausrichtung auf Mode von vornherein viel stärker gewesen: Marks & Spencer ist in erster Linie ein Textilhaus. Dadurch, dass sie fast nur Textilien anbieten, haben solche Häuser dann ein höheres Maß an Professionalität. Da geht man hin.

Warum haben die Warenhäuser das hier in Deutschland nicht hinbekommen?
Roeb: Vielleicht ist das Konzept "alles unter einem Dach" hierzulande zu lange zu gut gelaufen. Man hat hier natürlich auch ein höheres Maß an Wettbewerb, das es auch etwas schwieriger gemacht hat. Die Geschmäcker sind aber auch unterschiedlich: H&M ist beispielsweise in Deutschland so erfolgreich wie sonst nirgendwo: Pro Laden macht H&M hier rund 50 Prozent mehr Umsatz als in jedem anderen großen Markt - einschließlich seinem Heimatmarkt Schweden.

Zur Person

Thomas Roeb ist Leiter des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften an der Fachhochschule Bonn-Rhein-Sieg in Rheinbach. Seit mittlerweile 16 Jahren ist er dort Professor für Handelsbetriebslehre und Marketing. Nach seinem Studium der Betriebswirtschaftslehre in Bayreuth und Trier arbeitete Roeb zunächst für Aldi Süd und die Unternehmensberatung Roland Berger. Parallel zu seinem Lehrauftrag berät er Handelsunternehmen, darunter die Drogerie-Kette dm und Tchibo. Roeb äußert sich regelmäßig zu aktuellen Trends im Handel.

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