Jeder vierte Ausbildungsvertrag platzt

Bonner Experten raten Arbeitgebern, die Anforderungsprofile zu schärfen und die Kandidaten im Praktikum zu beobachten - Lehrlings-Beauftragte hält intensiven Kontakt zur Berufsschule und interveniert frühzeitig

  Zunehmend komplex  werden auch Fahrräder. Nicht jeder Zweiradmechaniker-Azubi ist den Anforderungen gewachsen.

Zunehmend komplex werden auch Fahrräder. Nicht jeder Zweiradmechaniker-Azubi ist den Anforderungen gewachsen.

Foto: dpa

Bonn. Es fehlen jede Menge Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt und die frühere Situation, dass die Großbetriebe über Bedarf ausgebildet haben und die kleineren Unternehmen die fertigen Gesellen bei sich angestellt haben, ist vorbei. Das hat zur Konsequenz, dass auch die Mittelständler verstärkt ausbilden müssen, um den Nachwuchs zu sichern.

Auch Rechtsanwalt Michael Fanselau aus Bonn sucht eine Auszubildende. Es kommen aber nur ein paar Bewerbungen auf die Anzeige herein und die sind katastrophal, in Ausdrucksweise, Rechtschreibung und Präsentation. Bei den Vorstellungsgesprächen können die Kandidatinnen und Kandidaten auch nicht überzeugen.

Fanselau ist ratlos: "Wir bieten doch einen ordentlichen Ausbildungsplatz in einem guten Beruf an. Rechtsanwaltsfachangestellte werden doch immer gebraucht." Was ist zu tun? Fanselau könnte auf die beste oder den besten der Kandidaten zurückgreifen, weil er dringend eine Fachangestellte braucht. Und wenn es dann ganz dicke kommt, und beide Seiten unzufrieden sind, beendet der Arbeitgeber den Lehrvertrag.

Das wäre kein Einzelfall: Rund jeder vierte Ausbildungsvertrag wird in NRW vorzeitig gelöst. Insgesamt wurden nach Angaben des Landesamtes für Datenverarbeitung und Statistik NRW 34 697 Lehren im Jahr 2001 nicht beendet.

Rechtsanwaltsfachangestellte sei kein Trendberuf, er steht in dem Ruf, langweilig zu sein, sagen Arbeitsexperten, deshalb bewerben sich auch nur wenige Jugendliche auf die Stelle.

"Der Unternehmer muss sich frühzeitig überlegen, wie er den Beruf attraktiv macht, ihn interessant verkaufen", rät Jenny Becker, Studienleiterin bei Modus. Die Bonner Initiative berät Jugendliche und Unternehmen, wenn ein Ausbildungsabbruch droht.

"Es sind meistens falsche Vorstellungen auf beiden Seiten, die zur Trennung zwischen Auszubildenden und Ausbildern führt", sagt Becker. Eine aussagekräftige Stellenanzeige könne Abhilfe schaffen.

Die meisten Anzeigen seien zu unspezifisch, Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und Teamfähigkeit seien schließlich Kriterien, die sich nahezu jeder Ausbilder wünsche. "Viele Fehler passieren schon bei der Einstellung", sagt Stefan Böker, Institutsleiter des Modus-Trägers Christliches Jugenddorfwerk Deutschlands (CJD) in Bonn.

Die Experten raten besonders kleineren Betrieben, vor einer Stellenausschreibung genau das Anforderungsprofil des Kandidaten zu formulieren. Dabei geht es um fachliche Qualitäten und Interessen, die der Jugendliche mitbringen soll, aber genauso zählen auch soziale Komponenten dazu.

Ein Abbruch der Lehre zudem eine teure Sache für den Unternehmer, denn zu den verlorenen Kosten von 800 bis 900 Euro im Durchschnitt pro Ausbildungsmonat kommt der Aufwand für die Suche nach einem geeigneten Nachfolger.

Auch die Handwerkskammer zu Köln empfiehlt den Betrieben mehr Sorgfalt bei der Auswahl der Lehrlinge und rät vor allem zu Praktika. "Wir hatten erst kürzlich einen Abbruch wegen schlechter schulischer Leistungen", berichtet Sabine Würdehoff, die die Lehrlinge bei Peter Panno, Fachgroßhandel für Haustechnik in Bornheim-Hersel mit betreut.

Zu dem Abbruch sei es gekommen, obwohl das Unternehmen die Kandidaten sehr sorgfältig auswähle. "Damals ließ sich das aber nicht voraussehen. Die Zeugnisse waren in Ordnung, die Verschlechterung ist in der Berufsschule gekommen", sagt Würdehoff. Doch so schnell wollte der Arbeitgeber nicht aufgeben und den Lehrling abschreiben. Es seien ausführliche Gespräche geführt worden und Nachhilfegruppen angeboten worden - doch es half alles nichts.

Würdehoff hat für ihre Arbeit die Konsequenz gezogen, noch früher mit der Berufsschule nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen. "Ich rufe die Lehrer regelmäßig an, bekomme alle Klassenarbeiten vorgelegt, diesen Kontakt werde ich noch intensivieren." Die sechs Auszubildenden bei Peter Panno werden regelmäßig und aufmerksam betreut.

"Schließlich gilt es, das beste herauszuholen - für beide Seiten", sagt Würdehoff. Doch vor dem jüngsten Fall sei kein Unternehmer geschützt: "Das wird immer wieder vorkommen. Die Jugendlichen entwickeln sich in der Lehrzeit und auch in den drei Monaten Probezeit weiß man nicht, wie es mit dem Jugendlichen weitergeht", sagt Würdehoff.

Die Zeugnisnoten seien das entscheidende Kriterium für die Auswahl der Bewerber, nach wie vor. "Doch wird die Auswahl immer schwieriger, es gibt absolute Unterschiede, nicht jeder Abschluss ist gleich", weiß Würdehoff. Pisa lässt grüßen.

Ausbildungsplatz-Suchende und Unternehmer mit freien Lehrstellen berät das Arbeitsamt unter der Telefonnummer (01 80) 3 22 55 (nur vom Festnetz aus) oder unter (02 28) 9 24 12 24 (Arbeitsamt Bonn) und (0 22 41) 30 01 36 (Arbeitsamt Siegburg).

Die Intitiative Modus ist unter (02 28) 9 89 62 70 erreichbar oder im Internet unter www.cjd-modus.de.

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