Jeder dritte Täter stammt aus der Führungsetage

Mit Verhaltensrichtlinien und internen Sicherheitskontrollen wollen sich Unternehmen gegen Korruption in den eigenen Reihen wappnen - Ehemalige Staatsanwälte helfen bei der Verbrecherjagd - Stadtwerke Bonn lernen aus Schreiber-Skandal

  Eine Hand wäscht die andere  - auch im Berufsleben. Wenn harmlose Freundschaftsdienste allerdings zu illegalen Nebenverdiensten werden, entsteht Schaden für Unternehmen und Volkswirtschaft.

Eine Hand wäscht die andere - auch im Berufsleben. Wenn harmlose Freundschaftsdienste allerdings zu illegalen Nebenverdiensten werden, entsteht Schaden für Unternehmen und Volkswirtschaft.

Foto: dpa

Bonn. Die Liste liest sich wie ein Who-is-who der deutschen Wirtschaft: Volkswagen, DaimlerChrysler, Siemens, BMW, Rewe - Korruptionsskandale in den großen Konzernen gehören bereits zur Tagesordnung.

Betriebsräte lassen sich zu Lustreisen einladen, Vorstandschefs kassieren bei geschäftlichen Vertragsabschlüssen privat kräftig mit, Insider nutzen ihr Firmenwissen für lukrative Deals an der Börse. Und das ist offenbar nur die Spitze des Eisbergs.

Nach einer Studie der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers (PWC) wurde von 2003 bis 2004 jedes zweite deutsche Unternehmen Opfer einer Wirtschaftsstraftat. Aber: "Nur jedes fünfte Unternehmen schätzt die Risikolage realistisch ein", warnen die Berater. Sie sehen den Handel, die Telekommunikationsbranche und den Finanzsektor als besonders gefährdet.

Während der Mittelstand nach Erfahrung von Fachleuten die Probleme oft noch verharmlost, versuchen sich immer mehr große Firmen gegen schmutzige Geschäfte in den eigenen Reihen zu wappnen. "Unternehmen müssen das Thema Korruption aus der Tabuzone holen und eindeutige Verhaltensstandards aufstellen", forderte am Montag in Köln der Geschäftsführer der Europäischen Akademie für Steuern, Wirtschaft und Recht, Christoph Brauner.

Der Seminarveranstalter hatte Vertreter von Firmen und Organisationen für zwei Tage zum Thema "Korruptionsprävention und Unternehmenskultur als zentrale Wettbewerbsfaktoren" eingeladen. Auf der Rednerliste fanden sich auch Vertreter eines Bonner Unternehmens, das über einschlägige Erfahrungen verfügt: Bei den hiesigen Stadtwerken flog im Jahr 2000 ein ganzes System aus schwarzen Kassen und Schmiergeldern auf - an den Schalthebeln der mittlerweile verstorbende damalige Unternehmenschef Reiner Schreiber.

Heute gelten die Stadtwerke als besonders vorbildliches Beispiel für eine der Korruption vorbeugende Unternehmenskultur. Schon im Aufzug der Stadtwerke-Zentrale neben der Beethovenhalle zeigt sich, wohin der Weg gehen soll: Hinweistafeln pauken den Mitarbeitern die neuen Firmenwerte des ehemaligen Skandal-Unternehmens ein - "Wir übernehmen Verantwortung: zuverlässig, kompetent und rechtschaffen", heißt es da.

Oder: "Das Wohl unserer Kunden und das Interesse unserer Eigentümer sind unser Antrieb." Nur hehre Worte? "Am Anfang war es durchaus schwierig, die Mitarbeiter von der Notwendigkeit eines Wertesystems zu überzeugen", sagt Hans Kortmann, Leiter Organisationsentwicklung bei den Stadtwerken und Mitbegründer einer Projektgruppe zum so genannten Wertemanagement.

Im Januar haben die Bonner die Arbeitsfassung des von den Beschäftigten selber entwickelten Verhaltenskodexes verabschiedet. Er ist Teil eines Gesamtsystems, das fast alles enthält, was Berater als Vorbeugung gegen Korruption fordern: Ein vom Unternehmen unabhängiger Vertrauensanwalt nimmt Hinweise auf fragwürdige Machenschaften entgegen.

Regelmäßige und für alle offene Treffen fördern den Austausch zwischen Mitarbeitern und Führungskräften. Künftig soll ein so genannter "Integrationsvertrag" auch Lieferanten und Geschäftspartner gegen Korruption verpflichten. Internationale Konzerne wie die Deutsche Post AG setzen schon längst auf ein Wir-Gefühl als Abschreckung gegen illegale Machenschaften.

Mit einem neuen Verhaltenskodex will das Bonner Unternehmen vor allem ein Bindeglied zwischen den unterschiedlichen Unternehmensteilen in aller Welt mit ihren verschiedenen Kulturen schaffen. "Darin gibt es auch Regeln für den Umgang mit Korruptionsversuchen", sagt Post-Sprecher Dirk Klasen.

Schließlich droht weltweit tätigen Unternehmen nicht nur die Gefahr, zum Opfer von Korruption, sondern auch zum Täter zu werden. "Neben der Bekämpfung von Korruption im eigenen Land müssen die reichen Länder dafür sorgen, dass ihre Firmen nicht in korrupte Praktiken im Ausland verwickelt sind", fordert etwa der Verein Transparency International Deutschland ( siehe Interview).

Die rechtlichen Rahmenbedingungen zielen in dieselbe Richtung: Seit 1999 steht die Bestechung ausländischer Amtsträger in Deutschland unter Strafe, seit 2002 sind auch Schmiergeldzahlungen zwischen Unternehmen nicht mehr legal. Weitaus strengere Vorschriften zur Vorbeugung gegen Bestechung gelten in den USA. Auch deutsche Konzerne, die an der New Yorker Börse gelistet werden wollen, müssen nachweisen, wie sie Korruption verhindern.

In vielen US-Konzernen bestimmen Verhaltensrichtlinien jedes Detail des Verhaltens der Mitarbeiter am Arbeitsplatz. "Es ist fraglich, wie weit Arbeitgeber gehen dürfen - auch wenn es um Ziele wie die Korruptionsvorbeugung geht", sagt Roland Köstler von der gewerkschaftsnahen Hans Böckler Stiftung. Fälle wie bei der US-Handelskette Wal-Mart, wo der Verhaltenskodex sogar in das Liebesleben der Belegschaft eingreift, seien allerdings selten. "US-Prinzipien wie den so genannten Whistleblower, eine Art Vertrauensanwalt, der Hinweisgeber schützt, halten wir dagegen für sehr sinnvoll."

Nicht nur in Deutschland zählt jedoch für viele Unternehmen weiterhin die Devise "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser". Revisionsabteilungen nehmen besonders gefährdete Abteilungen wie den Einkauf oder die Vergabe von Bauaufträgen oft besonders genau unter die Lupe. "Korruptionsprävention und -verfolgung sind bei uns Aufgabengebiet der Konzernsicherheit", sagt Telekom-Sprecher Peter Kespohl.

Auch Mittelständler wie der Siegburger Farbenhersteller Siegwerk setzen auf interne Kontrollen. "Verträge dürfen ab einer bestimmten Auftragshöhe nur von zwei Mitarbeitern gemeinsam unterzeichnet werden", sagt Firmensprecher Peter Heimerzheim. Wenn es für Vorbeugung zu spät ist, holen die Unternehmen sich meist Hilfe von außen.

Die großen Unternehmensberatungen wie PWC oder KPMG unterhalten ganze Abteilungen mit kriminalistischem Spürsinn. Ehemalige Staatsanwälte und Kriminalbeamte setzen ihr Wissen ein, um Übeltäter in den Firmen der Kunden zu entlarven.

Schließlich ist der typische korrupte Mitarbeiter laut PWC-Studie denkbar unauffällig: Männlich, rund 40 Jahre alt, überdurchschnittlich gebildet und seit etwa zehn Jahren im Unternehmen - jeder dritte Täter stammt in Deutschland aus dem Top-Management.

Lesen Sie dazu auch das Interview " Der Mittelstand ist in Korruptionsfälle massiv involviert".

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