100 tage in Mindestlohn "Jede Überstunde muss notiert werden"

BONN · Seit genau 100 Tagen gibt es heute den Mindestlohn in Deutschland. Arbeitnehmern steht ein Stundenlohn von mindestens 8,50 Euro zu.

 Für Mindestlohn: Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD).

Für Mindestlohn: Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD).

Foto: dpa

Ausgenommen von dem Gesetz sind Schülerpraktikanten, Langzeitarbeitslose in den ersten sechs Monaten einer neuen Erwerbstätigkeit, Auszubildende und Jugendliche ohne Berufsabschluss. Die Hotel- und Gaststättenbranche gilt wegen ihres hohen Anteils an Personalkosten und den niedrigen Löhnen als mit am stärksten betroffen von der Neuregelung.

"In unseren Betrieben herrscht Bürokratiefrust. Sorge und Unmut sind deutlich spürbar", sagt Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga). Als größte Zumutung empfänden die Unternehmer die umfassenden Dokumentationspflichten. So muss jeder Betrieb für alle Mitarbeiter bis zu einem Bruttoverdienst von 2958 Euro im Monat schriftlich Anfang, Dauer und Ende der Arbeitszeit festhalten. Zudem seien durch den Mindestlohn gerade kleine und mittelständische Betriebe in strukturschwachen Regionen, vor allem in Ostdeutschland, gefährdet.

Hier seien viele Betriebe von Personalkostensteigerungen von 20 Prozent und mehr betroffen. Neben höheren Lohnkosten gebe es auch eingeschränkte Öffnungszeiten oder höhere Preise. "Eine unserer Hoffnungen ist deshalb, dass die große Mehrheit der Deutschen, die den Mindestlohn befürwortet, jetzt auch bereit ist, für gute Produkte und Dienstleistungen gute Preise zu zahlen", so Hartges. Der Personalkostenanteil liegt in der Branche nach Verbandsangaben mit 25 bis 40 Prozent besonders hoch. Gerechnet auf den gleichen Umsatz würden in der Gastronomie sechs Mal so viele Arbeitnehmer beschäftigt wie zum Beispiel im Lebensmitteleinzelhandel.

Das Jammern über die Dokumentationspflicht im Arbeitgeberlager "ist zwar ausgesprochen laut, aber völlig grundlos", meint hingegen Ernst Busch, Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) in Köln, die auch für Bonn und den Rhein-Sieg-Kreis zuständig ist. Im Gastgewerbe sei das Dokumentieren von Arbeitszeiten längst gängige Praxis - schon deshalb, um Überstunden oder Nachtzuschläge ordentlich zu bezahlen. Er rät: "Wer in Bonn zum gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde arbeitet, soll seine Arbeitszeiten aufschreiben." Eine "Stechuhr aus Papier" sei ein Muss: Ein simples Stunden-Heftchen, in dem Beschäftigte jeden Tag ihre geleisteten Arbeitszeiten aufschreiben, reiche völlig aus. "Jede Überstunde muss notiert werden."

Ein weiterer Versuch, den Mindestlohn zu umgehen, sei Extra-Arbeit zum Nulltarif. Auch in der Region müssten Beschäftigte früher zum Job kommen und länger bleiben. Besonders in Fastfood-Restaurants sei unbezahlte Mehrarbeit mittlerweile gang und gäbe. Die Zeit der Vorbereitungen und Nacharbeiten werde einfach nicht bezahlt. "Es geht um die vielen Handgriffe, die nötig sind, bevor ein Backshop oder ein Fastfood-Restaurant aufgeschlossen und der erste Kunde bedient wird", sagt Busch. "Oft geht sogar eine Stunde dabei drauf." Die Verkäufer in Backshops müssten den Ofen anheizen, die Rohlinge aufbacken, Brote in die Regale und Kuchen in die Theke räumen und Brötchen schmieren. Im Fastfood-Restaurant müssten nach der Schließung am Abend vom Salat bis zum Käse alle Waren in die Kühlung geräumt werden, die Küche geputzt und die Kasse gemacht werden. "Gerade in Backfilialen sparen sich Arbeitgeber oft sogar die Reinigungskräfte. Dann müssen Verkäuferinnen abends sogar noch die Toiletten sauber machen", berichtet Busch.

"Dass die Beschäftigten hierfür keinen einzigen Euro bekommen, ist ebenso unverfroren wie unverschämt. Aber immer mehr Arbeitgeber in Bonn fordern die Extra-Arbeiten ein - zum Nulltarif", sagt Busch. Unter dem Strich würden Beschäftigte in Backshops und Fastfood-Restaurants so dazu gezwungen, auf mehr als 200 Euro Lohn pro Monat zu verzichten.

Auch die Minijobber in der Region sollten ihre Arbeitszeiten genau festhalten, rät der Gewerkschafter. Bei ihnen sei der Arbeitgeber zwar auch zur Dokumentation der Arbeitszeit verpflichtet. "Eine ?Parallel-Kontrolle? schadet allerdings auch nicht", so Busch. Der NGG-Geschäftsführer fordert von der Bundesregierung, jetzt "keine Arbeitgeber-Reparaturen am Mindestlohngesetz vorzunehmen". Ein "Mindestlohn light", der etwa durch eine fehlende Dokumentation der Arbeitszeiten bei Mini-Jobbern nicht kontrolliert werden könne, werde "zum Flopp". Busch: "Arbeitgeber, die dazu nicht bereit sind, müssen sich die Frage gefallen lassen, wie sie denn eine korrekte Lohnabrechnung hinbekommen wollen?" Der Mindestlohn sei auf einem guten Weg. Es komme nun darauf an, ihn mit seinen positiven Effekten sozial und wirtschaftlich wirken zu lassen.

Für Arbeitnehmer hat die NGG eine Telefonberatung eingerichtet: 040/38013255 (Gastronomie) und 040 / 3 80 13 - 265 (Bäckereien).

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