Waschmittelproduzent in Neukirchen-Seelscheid Insolventes Thurn-Werk beginnt mit letzter Produktion

Neunkirchen-Seelscheid · Das insolvente Thurn-Werk in Neukirchen-Seelscheid wird voraussichtlich zum Monatsende geschlossen. Als Ursache der Probleme sieht der Insolvenzverwalter Managementfehler und den harten Wettbewerb.

 In der Produktion: Thurn belieferte Discounter mit Pulverwaschmitteln.

In der Produktion: Thurn belieferte Discounter mit Pulverwaschmitteln.

Foto: Thurn

Noch läuft der Betrieb beim Waschmittelproduzenten Thurn in Neunkirchen-Seelscheid. Vorhandene Aufträge werden abgearbeitet. Doch voraussichtlich zum 1. Februar wird das insolvente Werk endgültig schließen. Die Firma Thurn Produkte ist einer der größten Arbeitgeber in der Gemeinde. Kurz vor dem Jahreswechsel hatte Insolvenzverwalter Dirk Obermüller den 230 damals noch im Werk tätigen Mitarbeitern in einer Betriebsversammlung die Stilllegung des Betriebs und die Kündigungen angekündigt.

„Alle Investoren, die zunächst ihr Interesse bekundet hatten, sind im Laufe des Verfahrens abgesprungen“, sagt Obermüller. Hoffnung habe er aber für die Werke im münsterländischen Greven und dem niederländischen Kerkrade, das rechtlich selbstständig geführt wird. Für beide Werke gebe es weiterhin Interessenten an einer Übernahme.

Bereits Anfang September hatte der Waschmittelhersteller Zahlungsschwierigkeiten, daraufhin sollte der Betrieb in Eigenverwaltung saniert werden. Doch das funktionierte nicht. Anfang Dezember hat das Amtsgericht Bonn dann das Regelinsolvenzverfahren eingeleitet.

Thurn stellt Wasch-, Putz- und Reinigungsmittel her in Neunkirchen-Seelscheid in Pulverforn, in Greven als Flüssigwaschmittel. Auf den Markt kommen sie als Handelsmarken, weshalb der Name Thurn bei Verbrauchern kaum bekannt ist. Thurn war einer der größten Fertiger von Handelsmarken, die Produkte werden regelmäßig ausgezeichnet. Sie stehen in vielen Verbrauchermärkten. Einer der Großkunden ist der Discounter Aldi, ein anderer Edeka. In guten Zeiten gab es 480 Arbeitsplätze.

Als Ursachen für die Insolvenz des familiengeführten Betriebs sieht Obermüller sowohl den harten Preisdruck auf dem Markt als auch Managementfehler.

Das Werk in Greven sei an den Bedürfnissen der Firma vorbei gekauft worden. Thurn habe eigentlich eher mittelgroße Mengen, die sogenannten Losgrößen, produziert, bevor eine Maschine umgerüstet wurde. Jeder Auftraggeber möchte beispielsweise eine andere Flasche für sein Produkt. Doch Greven sei vor allem für große Aufträge rentabel. „Auf diese Probleme ist dann nicht adäquat reagiert worden“, sagt Obermüller.

Dazu komme, dass in der Firma alles auf den Chef Adolf Günter Thurn zugeschnitten gewesen sei. „Es gab keine ausgeprägte zweite Managementebene“, so der Insolvenzverwalter. Die unzureichende Integration des Werks Greven hat zu logistischen und produktionstechnischen Problemen geführt, die sich letztlich auf die Liefer- und Leistungsbeziehungen zu wesentlichen Kunden ausgewirkt haben. In der Folge sprangen einige Kunden ab, oder es wurden Aufträge storniert.

Firma wurde 1977 gegründet

Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Dezember hat Adolf Günter Thurn auf Veranlassung der Gläubiger sein Amt als Geschäftsführer niedergelegt. Im Ort kursierende Gerüchte, Thurn habe auf dem Gelände ein Betretungsverbot, seien falsch. „Herr Thurn steht uns für Auskünfte bei Bedarf zur Verfügung.“ Thurn hat den Familienbetrieb 1977 in Ruppichteroth gegründet. Damals lagen die Ursprünge im Maschinenbau, genau genommen der Produktion von Blasmaschinen zur Produktion von Kunststoffflaschen. Thurn kam auf die Idee, Flüssigreiniger zuzukaufen und selbst zu vermarkten. Produziert wurde viele Jahre in Much. Die Waschmittelproduktion wurde 2010 nach Neunkirchen verlagert.

Eigentlich wollte Thurn das Produktionsgelände in Neunkirchen-Seelscheid 2016 erweitern. Doch nach Protesten einer Bürgerinitiative, die 3000 Unterschriften sammelte, verfolgte er die Pläne nicht weiter und kaufte das Werk in Greven. Die fehlenden Erweiterungsmöglichkeiten hätten bei der Investorensuche keine Rolle gespielt, so Obermüller. Wie das Gelände der Firma genutzt werde, stehe noch nicht fest. Bis es zu einem Verkauf komme, werde möglicherweise einige Zeit vergehen.

Einen Betriebsrat gab es bei Thurn in Neunkirchen nicht. Dementsprechend ist die Gewerkschaft IG Bauen-Chemie-Energie auch nicht in das Verfahren eingebunden. „Auch nach dem Bekanntwerden der finanziellen Probleme hat sich niemand von den Beschäftigten bei uns gemeldet“, sagt Helge Herrwegen, Gewerkschaftssekretär im Bezirk Köln-Bonn.

Obermüller ist es wichtig, dass er den 230 Beschäftigten nicht einfach die Kündigung überreicht hat: „Wir haben im gesamten Prozess die Mitarbeiter regelmäßig über den Stand der Dinge informiert, mit der Agentur für Arbeit im Vorfeld gesprochen und eine Firma, die Bewerbertrainings organisiert, zur Betriebsversammlung mitgebracht.“ Martina Deus, Geschäftsstellenleiterin der Agentur für Arbeit in Siegburg, erlebt es auch nicht oft, dass 230 Kunden auf einen Schlag neu hinzukommen. Wobei die Kündigungen gestaffelt ausgesprochen wurden, vom 1. Januar bis zum 1. April. „Das gibt uns ein bisschen mehr Zeit“, sagt Deus. Bei einem Teil der Thurn-Beschäftigten hätten die Berater mangelnde Deutschkenntnisse festgestellt. Sie würden zunächst mit Kursen fitter gemacht. Aber es sei schön, dass es durchaus Nachfrage nach Thurn-Beschäftigten gebe. „Bei uns haben sich Arbeitgeber gemeldet, die gerne einen Schichtführer hätten, der die Mitarbeiter mitbringt, mit denen er bislang zusammengearbeitet hat.“ Neben einem Anteil von ungelernten Kräften gebe es unter den Thurn-Mitarbeitern viele gut Ausgebildete. Für sie werde es keine Vermittlungsprobleme geben. Ein Teil der Beschäftigten kommen aus dem oberbergischen Raum.

Gemeinde entwickelt Pläne

„Ich bedauere die Entscheidung der Unternehmensleitung, die Standorte in Neunkirchen-Seelscheid und Much zu schließen“, sagte Bürgermeisterin Nicole Sander (SPD). Es mache sie sehr betroffen, dass viele Menschen – auch aus der Gemeinde – ihre Arbeitsplätze verlieren. Sie stehe im Austausch mit dem Insolvenzverwalter, um sich über die Entwicklung zu informieren. Denn die Gemeinde sei an einer schnellstmöglichen Nachnutzung der Gebäude und Flächen interessiert, damit keine Gewerbebrache und Gewerbesteuerausfälle entstehen. In der Verwaltung würden bereits Alternativlösungen durchdacht, um die Zeit der Insolvenzabwicklung aktiv zu nutzen. Beispielsweise sei eine Flächenentwicklung im Rahmen eines interkommunalen Projektes oder eines Strukturförderprogramms möglich.

21.000 Einwohner zählt die „Gemeinde. Sie hat bereits 1968 das Thurn-Grundstück als Gewerbegebiet ausgewiesen. Die Firma Avon war der erste Besitzer, der Gewerbehallen gebaut hat, die bis heute genutzt werden. Nachdem Avon den Standort aufgegeben hat, wurde das Gelände erst an Eckes, dann an Eschbach Akzente weiterverkauft. 140 000 Quadratmeter groß ist das Firmengelände.

Stephan Wimmers, der für Industrie zuständige Geschäftsführer bei der Industrie- und Handelskammer Bonn/Rhein-Sieg findet es bedauerlich, dass weitere Industriearbeitsplätze in der Region verloren gehen. Davon gebe es ohnehin sehr wenig. Dabei sei für die gesunde wirtschaftliche Entwicklung einer Region ein gewisser Anteil an Industriearbeitsplätzen unerlässlich. Denn viele Dienstleistungsarbeitsplätze entwickelten sich in ihrer Nähe: „Industrie ist nicht das Problem, sondern ein Teil der Lösung.“ Deshalb müsse es in der Region in Zukunft darum gehen, genügend Flächen für die Ansiedlung von Industrie zur Verfügung zu stellen.

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