Besuch im autofreien Viertel Im Stellwerk 60 in Köln fahren keine Autos

Köln · Vor elf Jahren zogen die ersten Bewohner in das Stellwerk 60 in Köln ein. Es ist die größte autofreie Siedlung Deutschlands. Aber es gibt auch schwarze Schafe dort.

 Hans-Georg Kleinmann erklärt die Regeln in der autofreien Siedlung in Köln-Nippes.

Hans-Georg Kleinmann erklärt die Regeln in der autofreien Siedlung in Köln-Nippes.

Foto: Benjamin Westhoff

Können Autos schön sein, wenn man sie im Plural betrachtet? Die Blechlawinen bei einem Stau, das Rauschen des Verkehrs, der Gestank von Benzin sind für Augen, Ohren und Nase eine Zumutung. Und selbst wenn die Fahrzeuge abgestellt sind, verschönert ihre schiere Masse kaum das Aussehen der Innenstädte.

„Man braucht schon eine gewisse Fläche, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was autofrei bedeutet“, sagt Hans-Georg Kleinmann, Aktivist der ersten Stunde für eine autofreie Siedlung in Köln. Anfang der 1990er Jahre hatten sich einige Dutzend Kölner Bürger zu einem Arbeitskreis zusammengefunden, der ein solches Projekt auf die Beine stellen wollte: Ein Wohnviertel zu schaffen, in dem Kinder gefahrlos auf der Straße spielen können, wo Bänke vor den Häusern zum Plausch mit den Nachbarn einladen und die Tiefgaragen ausschließlich für Fahrräder reserviert sind.

Vor elf Jahren zogen die ersten Bewohner ins Stellwerk 60 ein, so der Name der größten autofreien Siedlung Deutschlands im Kölner Stadtteil Nippes. Auf dem Gelände stand ein aufgegebenes Ausbesserungswerk der Deutschen Bahn. 400 Meter misst die Siedlung in der Diagonale, rund 1500 Menschen leben hier in 450 Haushalten. Eine Oase in der Großstadt, mit liebevoll bepflanzten Vorgärten, breiten Wegen, die kreuz und quer durchs Wohngebiet führen, und großzügigen Plätzen. „Die Straße ist hier ein Aufenthaltsort für Menschen, nicht für Autos“, erklärt Kleinmann. Und: „König ist der Fußgänger, nicht der Radfahrer.“ Aus diesem Grund machen die Wege auch immer wieder einen Knick, damit sie Pedalisten nicht als Rennstrecke benutzen.

Herzstück ist die Mobilitätsstation

„Das hier ist kein Architekturjuwel“, räumt Kleinmann mit Blick auf die ziemlich gesichtslosen Fassaden ein. Dafür gibt es öffentlich geförderten Wohnraum neben Eigentumswohnungen, die mit 2400 Euro pro Quadratmeter anfangs recht günstig waren, 15 Wohneinheiten für geistig Behinderte, die die Caritas betreibt, ein Solarpassivhaus und einige Einfamilienhäuser. Die Gebäude passen sich in der Höhe an die umliegende Wohnbebauung an, so dass Besucher zunächst gar nicht bemerken, dass sie eine eigene Welt betreten. Herzstück der Siedlung ist die Mobilitätsstation. Ihr Name ist Programm: Wer kein Auto hat, braucht andere Hilfsmittel, um den Wocheneinkauf, Möbel und andere schwere Transporte zu bewältigen. Die Station verleiht Fahrradanhänger in verschiedenen Größen, Sackkarren und einen Schwerlast-Rungenwagen, der bis zu 800 Kilogramm bewegen kann.

Stolz ist Kleinmann auf die Fahrradgaragen, die unter den Mehrfamilienhäusern gebaut wurden. Breite Rampen führen dorthin, die Türen öffnen sich per Fernbedienung. Je nach Wohnungsgröße stehen bis zu fünf Stellflächen pro Wohneinheit zur Verfügung. Aber auch hier kann es eng werden: „Manche Familie hat 15 Fahrräder“, sagt Kleinmann. Für das Unterbringungskonzept, zu dem auch der direkte Zugang von der Garage zu den Wohnungen gehört, hat die Siedlung 2013 den dritten Deutschen Fahrradpreis gewonnen.

Idee der autofreien Siedlung war kein Selbstläufer

Ein Selbstläufer war die Idee mit der autofreien Siedlung allerdings nicht. Der Arbeitskreis um Kleinmann, Geschäftsführer der Grünen-Fraktion in Frechen, musste bei der Politik dicke Bretter bohren, bis der Kölner Rat grünes Licht für das Projekt gab. Und nur gegen eine Auflage: Für ein Fünftel der Wohneinheiten musste es Autostellplätze geben. Sie wurden an den Rand der Siedlung in ein Parkhaus verbannt. Auch einen Investor zu finden, war nicht leicht, da die meisten ein Wagnis darin sahen, Immobilien anzubieten, zu denen die Bewohner nicht mit dem eigenen Wagen bis vor die Haustür fahren durften.

Denn das gilt bis heute: Für die Durchfahrt müssen Bewohner sich jedes Mal eine Erlaubnis von der Stadt holen, die auch etwas kostet. Darüber hinaus halten sich nicht alle an die Auflage, über das erlaubte Kontingent hinaus auf ein eigenes Auto zu verzichten. Die Stadt Köln kennt die schwarzen Schafe. „Wenn es zu viele werden, wird ein zweites Parkhaus am Rand der Siedlung errichtet“, sagt Kleinmann. Dann muss der Gemeinschaftsgarten verschwinden, wo heute noch Wildblumen Schmetterlinge und Bienen anlocken.

"Autofrei leben muss man lernen"

„Autofrei leben, das muss man lernen“, sagt Kleinmann, der im Stellwerk 60 seit 2006 lebt. Als Alternative zum eigenen Auto bietet eine Carsharing-Firma an zwei Stellen am Rand der Siedlung jeweils zehn Fahrzeuge vom Stadtflitzer bis zum Kleintransporter. „Wir sind in Köln ihre besten Kunden“, sagt Kleinmann. Er selbst miete sich aber lediglich einen Wagen, wenn Ziele mit der Bahn nur sehr umständlich zu erreichen seien. Denn man lebe ja zentral, keine drei Kilometer sind es zum Kölner Dom. „Am Ende braucht man immer weniger ein eigenes Auto.“

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