Landwirtschaft Für Bauern heißt es Weichen oder Wachsen

Berlin · Der Gipfel heute in Berlin soll Lösungen für die gesunkenen Erzeugerpreise suchen, die die Existenz vieler Milchbauern in Deutschland gefährdet. Die Branche selbst schlägt befristete Ausgleichzahlungen vor.

Der Krisengipfel zur Situation der Milchbauern heute bei Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) gehört keineswegs in die Kategorie des politischen Aktionismus. Die Milchviehhalter haben ernste Sorgen. Ihr Einkommen hängt eben direkt vom Erzeugerpreis ab, den die Molkereien für ihr Produkt zahlen – und der sinkt rapide. Im April 2015 wurden 100 Kilo konventionell erzeugte Kuhmilch (vier Prozent Fett) in Deutschland im Schnitt noch mit 30,12 Euro vergütet. Nach den Zahlen der „Agrarmarkt Informations-Gesellschaft“ in Bonn ist der Preis im März 2016 auf 25,83 Euro eingebrochen.

Für diese Entwicklung gibt es mehrere Gründe. Seit April 2015 gibt es in der EU kein System fester Milchquoten mehr, das die Produktion begrenzte. Die Liberalisierung der Märkte hat zu einer Ausweitung der Milchmenge geführt. Der Fachdienst „agrar heute“ gibt an, dass die Milcherzeugung in der EU seit dem Ende der Quotenregelung um 3,8 Prozent (knapp 6,1 Millionen Tonnen) gestiegen ist. Besonders Irland (plus 18 Prozent) und die Niederlande (plus 12 Prozent) legten gewaltig zu. In Deutschland lieferten die Erzeuger im März 2016 3,2 Prozent mehr Milch an als im Vorjahresmonat. Die wachsende Menge drückt auf den Preis. Das wäre verkraftbar, wenn der Überschuss im Export abverkauft werden könnte. Das ist aber nicht der Fall. Die Branche leidet zum Beispiel spürbar unter dem russischen Importstopp als Reaktion auf die von der EU gegen Russland verhängten Sanktionen. Zudem verschärft der vehemente Preisdruck der Discounter, bei denen die Tüte Milch mitunter schon für 42 Cent angeboten wird, die Wettbewerbssituation der Milchbauern.

Im Endeffekt verstärkt diese Situation einen Trend, der in Deutschland bereits seit langer Zeit zu beobachten ist: Die Milch wandert nach Norden in die so genannten Gunstregionen, wo die Böden besser sind und flache Landschaften Großlandwirtschaft begünstigen – zu Lasten der Kleinbetriebe, wie es sie traditionell im Süden und Südwesten gibt.

Beide Trends, die Nordwanderung und das Höfesterben, lassen sich ziemlich präzise statistisch belegen. Eine Studie der Universität Vechta belegt das. 1950 wurden in Deutschland noch 1,5 Millionen Milcherzeuger gezählt, 1983 war die Zahl bereits auf unter 400 000 gesunken. Im Jahre 2015 sind noch 76966 milcherzeugende Betriebe registriert. Von 1999 bis 2015 hat sich die Zahl praktisch halbiert. Weichen oder Wachsen – das ist im Prinzip die Alternative. 1950 besaßen die Erzeuger im Schnitt vier Kühe. 1999 lag der Schnitt bei 31, heute liegt die Zahl bei knapp über 55.

Die Nordwanderung der Milch in nüchternen Zahlen: Der Anteil Baden-Württembergs am gesamten Milchkuhbestand sinkt kontinuierlich: von 9,4 Prozent im Jahre 1996 auf heute noch acht Prozent. Dagegen wächst der Anteil NRWs und vor allem Niedersachsens, wo heute fast jede fünfte Milchkuh steht. In diesen Flächenländern sitzen die Großbetriebe. In Niedersachsen hat jeder Milchhof im Schnitt rund 80 Kühe, in Baden-Württemberg rund 41.

In Nordrhein-Westfalen sind laut Landwirtschaftsverband Rheinland schon fünf Prozent der Betriebe in Existenznot. Der schleswig-holsteinische Landwirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) prophezeit gar, dass in fünf Jahren die Hälfte der Milchbetriebe verschwunden sein wird.

Deutschland ist der größte Milchproduzent in der EU, und die EU der größte Produzent weltweit vor den USA und Indien. Nicht nur hier, überall wird mehr produziert – in manchen Ländern auch zu deutlich geringeren Kosten als in Deutschland, wo die Bauern die Kühe im Winter im Stall halten und sie mit teurem Kraftfutter zufüttern müssen. Die Nachfrage dagegen hat einen Stopp eingelegt: Schwellenländer wie China kaufen wegen der Konjunkturschwäche weniger Milchpulver und Käse. Den Westen trifft zudem das vom russischen Präsidenten Wladimir Putin verhängte Embargo.

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