Über Vertrauen und Menschenkenntnis Ex-Geheimagent Leo Martin spricht über seinen Job

Bonn · Leo Martin warb einst für den Verfassungsschutz V-Leute an. Heute beschäftigt er sich mit Führung und Vertrauensverhältnissen in Unternehmen. Dem GA erzählt er, worauf es in seinem ehemaligen Beruf ankam.

 Leo Martin war zehn Jahre lang für den Verfassungsschutz vor allem als Anwerber und Führer von Informanten tätig.

Leo Martin war zehn Jahre lang für den Verfassungsschutz vor allem als Anwerber und Führer von Informanten tätig.

Foto: Martin Wein

Ohne das gegenseitige Vertrauen der Führungskräfte und Beschäftigten lässt sich im Betrieb nichts verändern. Leo Martin hat als Geheimagent gelernt, Vertrauen zu unterschiedlichsten Menschen aufzubauen. Im Interview mit verrät er, wie man das macht.

Sie firmieren unter „Institut für forensische Textanalyse“. Bei Forensik denkt jeder an Pathologie?

Leo Martin: Ich bin Geschäftsführer des Instituts. Wir überführen anonyme Täter anhand ihrer Sprachmuster. Damit unterstützen wir vor allem Unternehmen, die per Brief oder Mail anonym bedroht oder erpresst werden. Außerdem bin ich aber auch als Buchautor auf Tagungen und Kongressen wie dem Potsdamer Dialog unterwegs und halte Vorträge zum Thema Menschenkenntnis, Vertrauen aufbauen und wie man seinen Einfluss auf andere erhöhen kann. In meinem aktuellen Band „Ich krieg dich“, verrate ich, wie man Menschen für sich gewinnt.

Sie waren selbst zehn Jahre lang für den Verfassungsschutz tätig. Was haben Sie da gemacht?

Martin: Ich habe V-Leute im Milieu der Organisierten Kriminalität angeworben. Dabei ist es wichtig, zuerst eine persönliche Beziehung aufzubauen. Wenn ich etwas vom anderen haben möchte, muss ich auch etwas geben.

Haben Sie Ihre Absicht gleich zu erkennen gegeben?

Martin: Nein, bei der Anbahnung von Kontakten sind wir zunächst unter falscher Flagge gesegelt. Das funktioniert sonst nicht und wäre auch zu gefährlich.

Sie sagen: Mit einer Arbeitsanweisung allein ist es nicht getan. Also erst etwas Rum-Kumpeln und Smalltalk und dann rücke ich mit der eigentlichen Absicht raus?

Martin: Das wäre viel zu offensichtlich und könnte genau das Gegenteil bewirken. Es geht gar nicht drum, nett zu sein, gemocht zu werden oder den anderen immer in seiner Komfortzone zu lassen. Man darf ihn auch mal da heraus kicken oder provozieren. Aber das muss immer respektvoll und auf Augenhöhe passieren. Wenn ich Vertrauen aufbauen möchte, sind zwei Dinge wichtig: Der Andere muss spüren – da hilft kein Argumentieren – dass ich weiß, wovon ich spreche, dass ich in meinem Thema sattelfest bin und zweitens, dass er mir jetzt, in diesem Moment, wichtig ist. Du musst deine Zielperson emotional packen.

Eigentlich ist das eine gute Menschenkenntnis?

Martin: Richtig, die Theorie ist relativ einfach und überall im menschlichen Umgang gleich. Da gibt es in der Beziehung von Agent und V-Mann, Vorgesetztem und Mitarbeiter oder Beschäftigten untereinander kaum Unterschiede. Die Frage ist: Schaffe ich es, dieses Wissen auch umzusetzen, damit der Andere seinen Handlungsspielraum auch voll und ganz für mich umsetzt. Jeder hat das Potenzial, in dieser Hinsicht mehr aus sich zu machen.

Sind die wahren Absichten nicht schnell durchschaubar?

Martin: Es geht nicht darum, sich zu verstellen und sein Interesse am Anderen nur zu spielen. Grundsätzlich möchten Menschen gemocht werden. Und Menschen möchten gerne helfen. Sie freuen sich, wenn sie ernstgenommen und beteiligt werden. Dann geben sie viel mehr Leistung als nur Dienst nach Vorschrift. Geld ist dafür nur sehr bedingt ein Motivator.

Muss sich der Untergebene anders verhalten als der Chef? Oft spielen sich solche Fragen ja in Hierarchiebeziehungen ab, wo der eine etwas durchsetzen will, was der andere abwehrt.

Martin: Ich habe dazu eine extreme Haltung. Sowohl in der Kommunikation als auch in der Führung geht es so gut wie nie um Hierarchie. Egal ob ich nach oben oder unten kommuniziere, nach rechts oder links – es gelten immer dieselben Gesetze. Die Führungskraft, die nur aufgrund ihrer höheren Stellung in der Hierarchie führt, wird ihre Mitarbeiter nicht an deren Grenzen führen. Nur wer es schafft, über sein Vorbild, über seine Person und Persönlichkeit zu führen, der führt wirklich.

Wie baut man Vertrauen auf ohne sich plump einzuschmeicheln?

Martin: Es macht zum Beispiel Sinn, auf Gemeinsamkeiten zu setzen. Einer der ersten Sprüche, die sie uns beim Nachrichtendienst gestrichen haben, ist: Ich trenne Berufliches von Privatem. Wer nicht bereit ist, über das Berufliche hinaus auch mit anderen zu kommunizieren – und zwar unabhängig davon, ob es ein Mitarbeiter, Kollege oder Kunde ist – der macht es sich auf der Beziehungsebene schwieriger als notwendig. Das Teilen auch einer persönlichen, privaten Information bietet die Chance, Gemeinsamkeiten zu entdecken. Ich werde von irgendeinem Vertriebsmenschen zu einer Persönlichkeit, die greifbar wird, weil sie für etwas steht. Dabei geht es um Leidenschaften, Eigenschaften und Besonderheiten.

Viele Menschen halten sich mit ihren Eigenarten beruflich zurück. Wie weit sollte man sich öffnen?

Martin: Da ist durchaus Fingerspitzengefühl gefragt. Es geht nicht darum zu Posen mit Haus, Auto und Boot. Man sollte sich auch nicht angreifbar machen. Manche Informationen hält man aus gutem Grund ganz bewusst hinterm Berg. Aber Informationen zu teilen, die Ecken und Kanten zeigen, ist erlaubt. „Mein peinlichstes Erlebnis der letzten Woche und was ich draus gelernt habe...“ oder „Der schönste Moment im Urlaub mit meinen Kindern war folgender...“. Das sind Geschichten, die mich greifbar machen.

Was gilt es bei der Auswahl zu beachten?

Martin: Wichtig ist, dass die Geschichten stimmen. Wenn Motorradfahren dein Ding ist, wenn die Augen dabei leuchten, wenn du davon erzählst, dann passt auch so was. Es darf etwas Besonderes sein. Auch Verbindlichkeit ist ein wesentlicher Faktor, wenn man Vertrauen gewinnen möchte.

Erzählen Sie ein wenig aus Ihrem Erfahrungsschatz. Wie oft ist diese Strategie in Ihren geheimdienstlichen Einsätzen aufgegangen?

Martin: Wenn wir V-Leute anwerben, erreichen wir Quoten von 80 Prozent. Das funktioniert bei Tätern, bei denen Macht, Geld und Ego eine Rolle spielen. Es funktioniert schlechter beim Linksextremisten, der Autonomie und Freiheit lebt. Der kriegt schon Pickel, wenn er eine Feuerwehruniform sieht. Da muss man dann anders vorgehen.

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