Zigarettenschmuggel EU will Tabakschmuggel bekämpfen

Brüssel · 2019 soll ein ehrgeiziges System zur Rückverfolgbarkeit jeder einzelnen Packung starten. Die Finanzminister der EU, Norwegens und der Schweiz hätten 2015 rund 11,3 Milliarden Euro mehr in der Kasse gehabt, wenn alle Zigaretten regulär versteuert worden wären.

Der Zigarettenschmuggel prellt den Steuerzahler um Milliardensummen. Die Finanzminister der EU, Norwegens und der Schweiz hätten 2015 rund 11,3 Milliarden Euro mehr in der Kasse gehabt, wenn alle Zigaretten regulär versteuert worden wären. Damit stammt jede zehnte Zigarette, die die rund 150 Millionen Raucher anstecken, vom Schwarzmarkt. Nach einer Studie von KPMG wurden 2015 in der EU und den beiden Ländern rund 53 Milliarden illegale Zigaretten geraucht.

Die EU-Kommission will die kriminellen Strukturen zerschlagen und die Tabaksteuer schützen. Daher will sie das weltweit ehrgeizigste System gegen den Zigarettenschmuggel aufbauen. Dies wurde mit der Tabakproduktrichtlinie (TPD) beschlossen, die bis auf die Passage zur Schmuggelbekämpfung bereits im Mai in Kraft getreten ist. 2019 soll nun ein Rückverfolgbarkeitssystem dazukommen, das im Fachjargon „Tracking and Tracing“ (Deutsch: Aufspüren und Verfolgen) heißt. Dabei ist vorgesehen, dass künftig der Weg einer jeden Zigarettenschachtel lückenlos dokumentierbar sein muss – und zwar von der Fabrik bis zum letzten Großhändler vor der Auslieferung an den Einzelhandel.

Wie in Brüssel und Berlin zu hören ist, rotieren die Behörden angesichts der zu bewältigenden Aufgabe. Derzeit hört die Kommission Wirtschaft und Verbände. Intensiv wird an einer zweiten Machbarkeitsstudie gearbeitet, nachdem die erste nicht zufriedenstellende Ergebnisse gebracht hat. Die Zeit tickt, und es tun sich immer mehr Fragen auf. Die Chefin des Haushaltskontrollausschusses im Europa-Parlament, Inge Gräßle (CDU), sagt im Gespräch mit unserer Zeitung: „Wir haben 2014 das Rückverfolgbarkeitssystem beschlossen, dessen technische Realisierbarkeit und Kosten zum derzeitigen Zeitpunkt aber leider nicht überschaubar sind.“ Die Heidenheimer Europa-Abgeordnete warnt: „Wenn wir am Ende einen Datenfriedhof mit Details zu jeder gerauchten Schachtel bekommen, dann haben wir etwas falsch gemacht.“

Niemand bezweifelt, dass der Zigarettenschmuggel besser bekämpft werden muss. Es gibt aber handfeste Zweifel daran, ob der EU-Ansatz mit einem logistisch aufwändigen Rückverfolgbarkeitssystem viel bringt. Damit würde man bei den legalen Strukturen ansetzen, nämlich bei der Industrie, beim Großhandel und den Zwischenhändlern. Dort tauchen aber die Zigaretten, die den Löwenanteil an der Schmuggelware haben, gar nicht auf.

Die eingangs zitierte KPMG-Schmuggelstudie fächert den illegalen Markt auf: Bei rund einem Drittel der Zigaretten vom Schwarzmarkt handelt es sich nämlich um Ware, die in Fabriken außerhalb der EU unter Fantasienamen wie „Fest“, „NZ“, „Minsk“ oder „Jin Ling“ eigens dafür produziert wird, um sie illegal und ohne Steuerbanderole nach Europa zu bringen und durch dubiose Kleinhändler unter die Raucher zu bringen. Selbstverständlich, ohne dass dafür je ein Cent Tabaksteuer fließt.

Von diesen sogenannten „Illicit Whites“ (Deutsch so viel wie „illegale markenlose“ Zigaretten) wurden 2015 knapp 19 Milliarden Stück in Europa geraucht. Mehr als ein Viertel davon stammt aus weißrussischer Produktion. Klar ist: „Fest“, „Jin Ling“ und Co. tauchen EU-weit nicht im legalen Handel auf, was könnte da ein Rückverfolgbarkeitssystem, wie es die EU für 2019 vorschreibt, anrichten? Ebenso wenig wie gegen die gefälschten Zigaretten. Das ist das zweite Standbein der kriminellen Zigarettenbranche: Sie fälscht Markenzigaretten, Packungen von Marketing-Legenden wie Marlboro und Camel werden kopiert und mit Tabak gefüllt, der jedenfalls nicht den strengen Vorschriften an den Verbraucherschutz entspricht.

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