Interview zur Zukunft der Arbeit bei der Deutschen Post "Es gibt nicht genügend Zusteller"

Bonn · Andrea Kocsis, stellvertretende Verdi-Bundesvorsitzende, spricht im GA-Interview über Arbeitsbedingungen bei der Deutschen Post und dem möglichen Einsatz von Robotern als Zusteller.

 Andrea Kocsis ist stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Verdi und für die Postdienste zuständig.

Andrea Kocsis ist stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Verdi und für die Postdienste zuständig.

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Andrea Kocsis ist stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Verdi und für die Postdienste zuständig. Sie ist stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Post. Über die Konzernentwicklung aus Arbeitnehmersicht sprach mit ihr Claudia Mahnke.

Die Deutsche Post DHL hat in Großbritannien Roboter für Lagerarbeiten gekauft. Werden auch in Deutschland bei der Post in Kürze Menschen durch Maschinen verdrängt?
Andrea Kocsis: Bisher ist die Aussage des Unternehmens, dass Roboter Menschen nicht verdrängen, sondern sie unterstützen sollen. Ich wünsche mir sehr, dass das tatsächlich so eintrifft.

Aus welchem Blickwinkel beurteilen Sie die Datenbrillen, die die Post seit einiger Zeit in Lagern und Verteilzentren testet?
Kocsis: Wir wehren uns nicht gegen Technik-Einsatz. Allerdings haben wir den Anspruch, dass gesundheitliche Auswirkungen auf die Mitarbeiter geprüft werden müssen. Die Datenbrillen sollen Produktivitätsfortschritte bringen. Teile dieser Fortschritte müssen dann unbedingt in Form von weniger Arbeit an die Beschäftigten weitergegeben werden.

Bringt bald ein Roboter die Pakete?
Kocsis: Es gibt natürlich Logistikunternehmen wie den Hamburger Containerhafen, die schon seit Jahren völlig automatisiert arbeiten und fast keine Mitarbeiter mehr beschäftigen. Der Zustellroboter ist aus meiner Sicht aber noch relativ weiter weg. Es übersteigt mein Vorstellungsvermögen, dass ein Roboter selbstständig eine komplizierte Anschrift findet und in den vierten Stock steigt.

Wie ist der Stand der Deutschen Post beim Thema Digitalisierung insgesamt?
Kocsis: Die Post ist ganz gut aufgestellt. Sie hat Vorteile, weil sie schon länger am Markt ist als einige Wettbewerber. Viele Abläufe müssen mit neuer Technik nur noch angepasst werden. Das Unternehmen hat sich auch bei der Frage der kohlendioxidausstoßlosen Logistik zukunftsweisend aufgestellt. Es war ausgesprochen innovativ, ein eigenes Elektroauto zu entwickeln.

Vor fast zwei Jahren hat Verdi einen großen Arbeitskampf mit sehr verhärteten Fronten bei der Post geführt. Hat sich die Stimmung zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern wieder entspannt?
Kocsis: Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt Betriebe, in denen die Auseinandersetzung tatsächlich zu dauerhaften Konflikten zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern geführt hat. In anderen Bereichen hat man wieder gut zueinander gefunden. Für mich ist eines wichtig: Wir müssen versuchen, gemeinsam den Strukturwandel zu gestalten. Ein Dauerkonflikt ist keine Lösung. Die Verdi-Mitglieder erwarten von uns, dass wir zusammen Lösungen für die anstehenden Themen entwickeln.

Die Post hat damals 49 regionale Gesellschaften namens DHL Delivery gegründet und zahlt die Mitarbeiter nach dem Tarifvertrag des Logistikgewerbes, der deutlich unter der Bezahlung bei der Muttergesellschaft liegt. Wie hat sich die Lage bei den Delivery-Gesellschaften aus Ihrer Sicht entwickelt?
Kocsis: Wir beobachten die Delivery-Gesellschaften, die wir ja eigentlich nicht wollten, ganz genau. Mittlerweile gibt es in allen Gesellschaften Betriebsräte. Wir haben regelmäßig Tarifverhandlungen, und die Beschäftigten haben teilweise auch schon für bessere Löhne gestreikt. Die Post stellt weiterhin in den Delivery-Geselleschaften ein - an vielen Stellen allerdings nur befristet. Ein großes Ärgernis für uns ist, dass die Post aus den Delivery-Gesellschaften heraus Aufträge an Dritte fremdvergibt. Es ist also keinesfalls so, dass die Post dort nur mit tarifgebundenen Mitarbeitern arbeitet.

Sehen Sie eine Aushöhlung vereinbarter Regeln?
Kocsis: Ja, das sehe ich ganz deutlich. Die Post hat im Tarifkonflikt behauptet, dass sie tarifgebunden arbeiten - sich also nicht weiter des Instruments der Fremdvergabe bedienen - will und marktgerechte Löhne gezahlt werden sollen. Wenn aus den Delivery-Gesellschaften heraus Subunternehmer beschäftigt werden, dann unterscheidet sich die Deutsche Post in keiner Weise mehr von anderen Paketdienstleistern.

Werden die Subunternehmer dauerhaft eingesetzt oder lediglich, um Auftragspitzen abzufangen?
Kocsis: Das ist ein Streitpunkt. Mir wird aus Delivery-Gesellschaften berichtet, dass es auch auf Dauer angelegte Einsätze gibt. Dazu kommt ein weiterer Punkt: Es gibt nicht überall genügend Personal für die Zustellung. Die Personalknappheit steigt, weil angesichts der schwierigen Bedingungen nicht jeder Mitarbeiter seine berufliche Zukunft dauerhaft dort sieht. Diese Menschen sind schnell wieder weg, wenn sich eine andere Stelle auftut.

Woher kommt die Personalknappheit?
Kocsis: Im Moment ist der Arbeitsmarkt wie leer gefegt. Für viele ist es nur ein Job. Es gibt keine Identifikation mit dem Unternehmen wie früher. Das war für die Post immer ein großer Erfolgsfaktor.

Werden weniger Mitarbeiter befristet angestellt?
Kocsis: Es gibt klare Vereinbarungen, dass Mitarbeiter nach einer festgelegten Zeit unbefristet angestellt werden. Damit gibt es endlich eine Perspektive für diese Mitarbeiter. Das funktioniert in weiten Teilen ganz gut.

Haben Sie schon einen Eindruck, wie sich die Lage in Berlin entwickelt, wo die Post seit diesem Monat für Amazon fresh Lebensmittel zustellt?
Kocsis: Ich kann es im Moment noch nicht einschätzen, ob sich das Geschäftsmodell durchsetzt. Davon wird abhängen, ob Beschäftigte, die bereits im Unternehmen bei der Posttochter Allyouneeed fresh tätig sind, häufiger abends abends arbeiten müssen, oder ob zusätzliche Beschäftigte eingestellt werden.

Die wirtschaftliche Lage des Unternehmens entwickelt sich positiv. Ihr Urteil zum Management?
Kocsis: Jeder Beschäftigte ist froh, wenn er in einem Unternehmen arbeitet, das wächst und einen gute Zukunftsperspektive hat. Das ist bei der Post so. Insofern kann man sagen, dass das Management seine Ziele erreicht. Ich würde mir aber wünschen, dass die Überlastung vieler Mitarbeiter jetzt stärker in den Fokus genommen wird. Gewinne sind das eine - gesunde Mitarbeiter das andere. Und die Arbeitsbedingungen sind an vielen Stellen im Konzern wirklich hart.

Es gibt eine Debatte um die Vergütungshöhe für den Vorstandsvorsitzenden der Post, Frank Appel. Ihre Position?
Kocsis: Vorstandsvergütungen müssen angemessen sein. Über die Angemessenheit lässt sich bekanntermaßen streiten. Die Höhe der Vorstandsvergütungen ist im Aufsichtsrat für die Arbeitnehmerseite schon lange und immer wieder ein Thema - und wird es auch bleiben.

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