Interview mit Marc Tüngler zur T-Aktie „Die Telekom ist an der Börse erwachsen geworden“

Bonn · Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, spricht im Interview über die Entwicklung der T-Aktie.

20 Jahre T-Aktie – wie sieht die Bilanz aus?

Marc Tüngler: Für die Anleger ist die Bilanz sicher zwiespältig. Auf der einen Seite haben viele Anleger mit der T-Aktie Geld verloren oder sich nach den schlechten Erfahrungen ganz aus der Aktienanlage verabschiedet. Auf der anderen Seite liegen die Aktionäre, die beim ersten und – je wie man rechnet – zweiten Börsengang dabei waren, mit ihrer Anlage im Plus, da die Telekom sich in den vergangenen Jahren als zuverlässiger und starker Dividendenzahler erwiesen hat. Die Telekom ist an der Börse erwachsen geworden, auch weil sie heute auch mehr auf den Kapitalmarkt hört und zugleich die Themen setzt.

Was ist zu Beginn schiefgelaufen?

Tüngler: Viele Bürger, die sie gar nicht hätten kaufen dürfen, haben bei der T-Aktie zugegriffen. Sehr viele Neueinsteiger kannten das Risiko einer Aktie gar nicht, und auch nicht, dass man unter Umständen lange dabei bleiben muss. Die ausgeklügelte Marketingstrategie der Telekom ist auf die ausprägte Unwissenheit der Bürger in Sachen Aktie getroffen. Das hat einen bleibenden Schaden angerichtet, und der Vertrauensverlust hält an. Das ist schade. Dann kam im Jahr 2000 noch die Versteigerung der UMTS-Mobilfunklizenzen hinzu, bei der der Staat erneut hohe Milliardensummen kassierte – auch von der Telekom. Dieses Vorgehen hat viele vergrault, weil sie sich vorkamen wie eine doppelt gemolkene Kuh.

Hätte die Bundesregierung die Privatisierungsschritte anders anlegen müssen?

Tüngler: Die Idee einer Volksaktie ist nicht schlecht, aber die Telekom war nicht das richtige Unternehmen dafür. In der Telekommunikationsbranche gibt es immer Aufs und Abs. Es gibt hohe Risiken und einen noch höheren Investitionsbedarf. Damit war und ist die T-Aktie kein Witwen- und Waisenpapier.

Welche Rolle spielte Ron Sommer?

Tüngler: Ron Sommer war unglaublichem Druck ausgesetzt. Er sollte und wollte etwas in einer Zeit bewegen, in der extreme Risiken eingegangen wurden. Aber viele seiner Wachstumsschritte wurden viel zu teuer bezahlt, wie die Voicestream-Übernahme in den USA. Das ergab eine Kumulation und dann eine Explosion der Risiken.

Warum dümpelt die T-Aktie nach dem spektakulären Hoch im Jahr 2000 vor sich hin?

Tüngler: Die Entwicklung ist unter Herrn Höttges deutlich besser geworden. Er packt die Themen an, die wichtig sind. Er betont, dass die Telekom gegen Google, Amazon und Facebook antreten kann. Das gibt den Telekom-Aktionären Selbstbewusstsein zurück und tut der geschundenen Aktionärsseele gut. Das haben wir lange vermisst. Das Grundproblem der Börsengange war auch, dass die Telekom nicht alleiniger Profiteur der bei den Anlegern eingesammelten Milliarden war, sondern der Staat einen großen Teil der Gelder kassierte. Viele haben erst später verstanden, dass ein Börsengang nur dann gut ist, wenn dadurch dem Unternehmen Kapital für Wachstum und Schuldentilgung zugeführt wird. Zudem war es die Bundesregierung, die durch ihre enorme Regulierungswut dafür mit die Verantwortung trägt, dass die T-Aktie immer in schwierigem Fahrwasser verblieben ist.

Aber die Öffnung des Marktes war doch zum Zeitpunkt des Börsengänge bekannt?

Tüngler: Die Idee war und ist grundsätzlich auch richtig. Aber 20 Jahre später leidet die Telekom immer noch unter der Form der Regulierung, die zwar zu sinkenden Endverbraucherpreisen führt, das Geld für Investitionen aber knapper werden lässt.

Was sind denn Wachstumsperspektiven für die T-Aktie in der Zukunft?

Tüngler: Das Kerngeschäft der Telekom sind Deutschland und Kontinentaleuropa. Hier hat sie große Pläne für den Ausbau der Netze. Das kostet alles viel Geld. Das Geld dafür könnte aus den USA kommen. Den ganz großen Befreiungsschlag für die T-Aktie werden wir dann sehen, wenn es zu einem Verkauf der US-Tochter kommt. Das wäre für die Telekom insgesamt gut. Auch die Zusammenführung von Mobil- und Festnetz sowie die Umstellung auf IP-Technologie bringt das Unternehmen nach vorne.

Die Telekom hat in den vergangenen Jahren eine sehr großzügige Dividendenpolitik gemacht. Das ist für den Anleger schön, für das Unternehmen schwächend. Wie sehen Sie das?

Tüngler: Es gab Jahre, in denen das Unternehmen die Dividende operativ nicht vollständig verdient hatte. Allerdings war der Kapitalfluss für die Dividende immer vorhanden. Die späteren, längerfristigen Dividendenversprechen durch Höttges waren wichtig und richtig. Der Vorteil: Es hat den Kurs stabilisiert, und die Aktie hat dadurch wieder deutlich Charme bekommen.

Die T-Aktie hat heute bei Experten oft noch den Status eines Versorgungsunternehmen, das wenig Kursfantasie auslöst. Zu Recht?

Tüngler: Nein, mit dieser Einordnung tut man der Telekom keinen Gefallen. Zudem kann man an RWE und Eon sehen, wie schnell sich alles ändern kann. Die Telekom muss sich laufend neu erfinden und am Ball bleiben.

Was halten Sie von den Forderungen, der Staat möge sich von seinen restlichen Telekom-Anteilen trennen?

Tüngler: Wir haben uns an den Bund als Aktionär gewöhnt. Das ist kein Malus mehr. Wichtiger als die Tatsache, dass der Staat Aktionär ist, ist, dass man stets die Sorge hat, dass der Staat aussteigen könnte. Das drückt auf den Kurs. Vor diesem Hintergrund freut uns, dass Herr Schäuble soeben Aktien der Telekom nachgekauft hat – ein klares Statement.

Was sagen Sie zur Dauer des Telekomanleger-Prozesses?

Tüngler: Das ist unerträglich für die Telekom-Aktionäre, die davon betroffen sind. Die Dauer des Verfahrens hat aber nichts mit dem Unternehmen zu tun, sondern mit der deutschen Justiz. Wir haben schlichtweg die falschen Gesetze zur Durchsetzung von Anlegerinteressen.

Wie steht das Unternehmen heute da?

Tüngler: Wir haben in den vergangenen Jahren eine Renaissance des Unternehmens gesehen, die maßgeblich durch Herrn Höttges vorangetrieben wurde. Er hat der Telekom neues Selbstbewusstsein eingehaucht.

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