re:publica Die nächste industrielle Revolution

Berlin · Auf dem Internet-Kongress re:publica diskutieren Fachleute aus Wirtschaft und Politik über die Zukunft der Arbeit.

60 Prozent der Arbeitsplätze in Deutschland seien in Gefahr – mit dieser Horrorthese startete am Montag die Konferenz re:publica in Berlin. Sabine Bendiek, Chefin des US-Softwarekonzerns Microsoft, sprach mögliche Auswirkungen der Digitalisierung für Jobs und Arbeitnehmer an. Allerdings ist diese Ansage stark umstritten: Die Prognosen gehen weit auseinander. Klaus Dörre, Soziologie-Professor der Universität Jena, sagt: „Nicht alles, was technisch möglich erscheint, wird auch gemacht.“

Wie verändert das Internet unser Leben? Die re:publica hat sich zu einem zentralen Debattenort für die Fragen um Digitalisierung, Demokratie und Gesellschaft entwickelt. 8000 Besucher werden bis Mittwoch in Berlin-Kreuzberg erwartet. Zugleich dient der Kongress als Branchentreff der Internet- und Medienwirtschaft.

Ein Schwerpunkt der diesjährigen Debatte sind die Auswirkungen der Digitalisierung auf das Arbeitsleben. Werden die Fabriken noch mehr entvölkert, als sie es schon sind? Laufen die Bänder von Volkswagen und Daimler bald ganz ohne Montagearbeiter, ausschließlich mit Robotern? Und sitzen in Lkw in 20 Jahren keine Fahrer mehr? Auch weniger offensichtliche Bereiche der Wirtschaft könnten betroffen sein, wie etwa das Gesundheitswesen: Manche Firmen und Wissenschaftler nehmen an, dass Patienten ihre Behandlung künftig von Computern per Internet zugewiesen bekommen.

An Universitäten ersetzen automatisierte Online-Kurse vielleicht die Vorlesungen der Professoren für ihre Studenten. „Die Arbeit verändert sich, und der Trend wird sich beschleunigen“, so Microsoft-Managerin Bendiek. Mit dieser Aussage hat sie vermutlich Recht – wobei die konkreten Auswirkungen noch im Nebel der Zukunft liegen. Höhere Arbeitslosigkeit oder niedrigere? Klar sind nur die allgemeinen Entwicklungsgesetze der Wirtschaft. Einerseits kostet der technische Fortschritt Arbeitsplätze, weil dank besserer Technik weniger Menschen mehr Produkte fertigen. Andererseits entwickeln die Menschen aber auch neue Bedürfnisse, es entstehen neue Märkte, mehr Wohlstand ermöglicht mehr Konsum. Das entsprechende Wachstum schafft zusätzliche Stellen.

Und die Zukunft ist gestaltbar. Unter anderem deshalb warnt Soziologe Dörre vor Dramatisierung und Fatalismus. „Wir haben Optionen. Die meisten Bürger lehnen es vermutlich ab, dass sie im Altenheim von Robotern versorgt werden“, so Dörre über die Prognose, dass auch der Altenpflegedienst bald automatisiert wird. Sabine Pfeiffer, Soziologie-Professorin an der Uni Hohenheim, ist ebenfalls gelassener. Drei Viertel der Beschäftigten in Deutschland seien durch Ausbildung und Arbeitspraxis in der Lage, die Digitalisierung zu bewältigen. Trotzdem muss man sich darauf einstellen, dass neue Techniken die überkommene Arbeitsverfassung angreifen.

Das weiß auch Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD), die am Dienstag bei der re:publica die Frage beantworten will: In welcher digitalen Arbeitswelt wollen wir leben? Ihr Ministerium beschäftigt sich intensiv mit der sogenannten vierten industrielle Revolution und den entsprechenden Beschäftigungsverhältnissen (Arbeit 4.0). Einerseits gäbe es Millionen Stellen, die nicht verschwänden, sondern sich veränderten – und Millionen Arbeitnehmer, die dieser Veränderung gewachsen seien. Dieser Befund passt zu dem, was Microsoft-Managerin Bendiek beim Kongress in Berlin sagte: „Ich bin überzeugt, dass es immer große Chancen für die Menschen geben und die Arbeit immer interessanter werden wird.“ Aus der Sicht der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, die sich ebenfalls an der re:publica beteiligt, wohnt dem jedoch ein erhebliches Maß Schönfärberei inne.

Für manche Bereiche der digitalen Arbeitswelt verwenden die kritischen Ökonomen eher den Begriff „moderne Sklaverei“. Damit könnten Fahrer der amerikanischen Smartphone-Taxifirma Uber gemeint sein, die 13 Stunden täglich unterwegs sind und doch nur das Nötigste verdienen. Oder Bürger, die sich die steigende Miete ihrer Wohnung nur noch leisten können, wenn sie Zimmer über die Online-Plattform Airbnb untervermieten. Solche Arbeitsformen oder auch prekäre Jobs in der traditionellen Industrie werfen laut Nahles die Frage nach der Notwendigkeit neuer sozialer Sicherung auf.

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