Carsten Linnemann im Interview "Die Bundesregierung muss sich bewegen"

Die Stimmung kippt nach den Ereignissen in Köln, sagt Carsten Linnemann. Er möchte eine Versachlichung der Debatte über die Flüchtlingssituation. Mit dem Vorsitzenden der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU sprach in Berlin Norbert Wallet.

 Er fordert die Abschaffung des Soli: Carsten Linnemann, hier auf dem CDU-Parteitag 2014 in Köln.

Er fordert die Abschaffung des Soli: Carsten Linnemann, hier auf dem CDU-Parteitag 2014 in Köln.

Foto: dpa

Herr Linnemann, Wir schaffen das mit den Flüchtlingen - unterschreiben Sie diesen Satz?

Linnemann: Wir schaffen es definitiv nicht, wenn der Zustrom so anhält. Die Bundesregierung muss sich bewegen. Wir alle wollen Schengen retten - wir brauchen ein offenes Europa. Gerade deshalb muss Deutschland, ähnlich wie Schweden und Dänemark, Signale setzen. Wir müssen wenigstens wissen, wer in dieses Land kommt. Also brauchen wir Grenzkontrollen. Ich begrüße deshalb ausdrücklich das Papier der CSU-Landesgruppe. Wer keinen gültigen Pass hat, muss an der Grenze zurückgewiesen werden.

Kippt die Stimmung bei den Bürgern?

Linnemann: Ja. Vor den Kölner Ereignissen hatten viele Bürger Hemmungen, ihre Befürchtungen auszudrücken, weil sie Angst hatten, in die rechte Ecke gestellt zu werden. Nach Köln sehen sie ihre Meinung aber bestätigt und äußern sie offen. Damit kommen wir endlich zu einer ehrlichen Debatte.

Kippt die Stimmung in der Bundestagsfraktion der Union?

Linnemann: Ganz klar: Die Bedenken in der Bundestagsfraktion nehmen zu. Vor vier Wochen, auf dem CDU-Bundesparteitag, haben wir uns doch alle auf das Ziel der Reduktion des Zustroms verständigt. Der ebbt aber nicht ab. Und Köln zeigt, dass Sicherheitsfragen eine immer größere Rolle spielen. Die Abgeordneten spüren, dass die Menschen zunehmend das Vertrauen in den Staat verlieren. Darüber müssen wir offen diskutieren.

Wie viele sagen: Wir kommen mit Frau Merkel nicht mehr weiter?

Linnemann: Allein die Fragestellung zeigt, welches Problem wir in diesen Zeiten haben. Alles wird personalisiert. Was wir jetzt brauchen, ist vielmehr eine Sachdebatte.

In ruhigeren Zeiten gehörte die Forderung nach einer gezielten, qualifizierten Einwanderung zum Forderungskatalog von Industrie und Mittelstand. Noch immer?

Linnemann: Unsere jetzigen Regelungen zur gesteuerten Einwanderung sind ziemlich zerstreut und hoch komplex. Natürlich muss man das irgendwann radikal vereinfachen und ordnen. Aber jetzt über ein Einwanderungsgesetz zu reden, wo doch noch gar nicht klar ist, wie wir die gegenwärtigen Probleme lösen, halte ich für unangebracht.

Integration ist eine gewaltige Aufgabe. Braucht der Staat dafür mehr Einnahmen, also höhere Steuern?

Linnemann: Nein. In der Vergangenheit mussten die Kommunen oft den Gürtel sehr eng schnallen. Das haben die Bürger ganz persönlich gemerkt. Ihnen jetzt zu sagen, für die aktuellen Probleme verschafft sich der Staat mehr Einnahmen - das ist nicht vermittelbar. Unsere Konjunktur brummt, der Ölpreis ist niedrig, das Zinsniveau nützt den staatlichen Haushalten, die steigenden Löhne führen automatisch zu mehr Einnahmen. Es gibt keine Notwendigkeit, die Steuern zu erhöhen. Im Gegenteil.

Sie sehen die Möglichkeit zu Steuersenkungen?

Linnemann: Wenigstens muss der Solidaritätszuschlag 2019 auslaufen. Das ist eine feste Zusage an die Bürger. Aber längst laufen Überlegungen, wie wir nach 2019 die Soli-Gelder weiter verbraten. Stattdessen müssen wir den Staat effizienter machen, um nicht auf dieses Geld zurückgreifen zu müssen. Ich bin ganz rigoros für eine Abschaffung des Soli. Das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit der Politik.

Die Debatten gehen längst in eine andere Richtung. Nicht nur die SPD, auch der Arbeitnehmerflügel der Union verlangt die Rückkehr zur vollen Parität bei den Kassenbeiträgen. Argument: Warum sollen nur Arbeitnehmer den gesundheitlichen Fortschritt finanzieren müssen?

Linnemann: Immer wird über die Verteilung zusätzlicher Kosten gesprochen, nie über den Abbau ineffizienter Strukturen im Gesundheitswesen. Das Fallpauschalen-System ist mit voller Wucht gegen die Wand gefahren, keiner packt das Thema an. Da wird Geld verbrannt. Ordnungspolitik und Wettbewerb im Gesundheitswesen - das ist das Thema, das wir anpacken müssen, statt nur über Beiträge zur weiteren Finanzierung nicht funktionierender Systeme zu reden. Eine Rückkehr zur Parität nimmt eine Möglichkeit zum Wettbewerb zwischen den Kassen. Den brauchen wir aber dringend. Man kann ja über alles reden, aber dann müssen wir auch über ein Ende des Dirigismus im Gesundheitswesen sprechen.

Zur Person

Der 38-jährige Carsten Linnemann wurde 1977 in Paderborn geboren. Der Volkswirt sitzt seit 2009 für die CDU im Bundestag. Zuvor hatte er bei der Deutschen Industriebank in Düsseldorf gearbeitet. Der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU, dem einflussreichen Wirtschaftsflügel, sitzt Linnemann im Bund seit Oktober 2013 vor.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Viel Potenzial bei Ungelernten
Kommentar zur Arbeitslosenquote Viel Potenzial bei Ungelernten
Zum Thema
Aus dem Ressort