Interview mit Volkswirt Manfred J.M. Neumann "Der große Knall kommt noch"

Die EZB will mit Anleihekäufen im großen Stil die Konjunktur stärken und Deflation verhindern. Das funktioniert nicht, meint der Bonner Volkswirt Professor Manfred J.M. Neumann im Gespräch mit Delphine Sachsenröder.

 Euro-Zeichen spiegeln sich an Fassaden im Frankfurter Bankenviertel. Über die Zukunft der Gemeinschaftswährung streiten die Ökonomen.

Euro-Zeichen spiegeln sich an Fassaden im Frankfurter Bankenviertel. Über die Zukunft der Gemeinschaftswährung streiten die Ökonomen.

Foto: dpa

Hat die Europäische Zentralbank (EZB) gestern den Euro gerettet oder weiter an den Abgrund befördert?

Manfred J.M. Neumann: Leider hat die EZB den Euro ungewollt näher an einen Absturz gerückt. Denn die Maßnahmen werden wohl innerhalb der Eurozone nicht die gewünschte Wirkung zeigen. Gleichzeitig wird der Euro im Verhältnis nach außen an Wert verlieren. Ich rechne mit einem Wechselkurs von deutlich unter einem Dollar für einen Euro. Dadurch werden die Einfuhren teurer, zum Beispiel von Öl. Die Wirtschaft würde empfindlich getroffen.

Warum soll der Anleihenkauf in der Eurozone nicht wie beabsichtigt wirken?

Neumann: Eigentlich will die EZB die Konjunktur beleben. Das funktioniert aber mit den Mitteln der Geldpolitik heute nicht mehr so, wie man sich das früher vorstellte. Eine Notenbank wie die EZB kann über den Zinssatz die Wirtschaft beeinflussen. Aber die Zinsen in der Eurozone sind so niedrig, dass sie nicht weiter gesenkt werden können.

Wo sehen Sie den Zusammenhang zwischen den niedrigen Zinsen und den Anleihekäufen?

Neumann: Wenn die Banken Geld verleihen, können sie derzeit über den Zins kaum Gewinne erwirtschaften. Deshalb nimmt die Kreditvergabe der Banken in der Eurozone an Unternehmen seit Längerem ab. Ich halte es für möglich, dass die Banken das Geld, das ihnen die EZB für die alten Staatsanleihen gibt, direkt wieder in Staatsanleihen investieren und damit weitere Haushaltsdefizite finanzieren. Sie werden das Geld auch gerne in Wertpapieren von außerhalb der Eurozone anlegen. Dann verpufft die Wirkung.

Diese Befürchtung teilen viele Experten. Einige Ökonomen haben daher gefordert, die EZB solle direkt an die Bürger der Eurostaaten Geld verteilen.

Neumann: Wenn die Regierungen ihren Bürgern über Steuererleichterungen Geld schenken wollen, dann dürfen sie das machen. Denn sie sind vom Volk gewählt. Die Notenbanken dürfen dagegen keine Geschenke verteilen, denn sie sind nicht demokratisch legitimiert. Außerdem würde das ohnehin nichts bringen, denn wenn so ein Geschenk bekannt würde, würden die Preise vorher entsprechend steigen.

Welche Möglichkeit bleibt der EZB überhaupt, die Wirtschaft zu beeinflussen?

Neumann: Derzeit hat sie keine Möglichkeiten. Die Höhe der Geldmenge wird am Ende nicht von der EZB bestimmt, sondern von der Nachfrage nach Geld. Das Hauptproblem ist, dass die Nachfrage nach Geld und damit nach Bankkrediten im Euroraum schwach ist.

Soll die EZB denn tatenlos bleiben und die Ängste vor Deflation, also sinkenden Preisen, ignorieren?

Neumann: Es wäre im Moment in der Tat besser, nichts zu tun. Die Ängste vor Deflation sind maßlos übertrieben. Öl ist auf den Weltmärkten deutlich billiger geworden, dadurch steigen auch die Verbraucherpreise kaum. Die sogenannte Kerninflation, also Preissteigerungen ohne die Einbeziehung von Öl und Lebensmitteln, liegt wesentlich höher und sinkt voraussichtlich nicht weiter. Deflation bedeutet außerdem, dass nicht nur die Preise, sondern auch die Löhne anhaltend sinken. Dafür gibt es keinerlei Anzeichen.

Wenn die Deflation als Bedrohung wegfällt, ist der Anleihekauf - wie Kritiker meinen - nur ein gigantisches Programm zur Staatsfinanzierung durch die Notenbank?

Neumann: Leider muss man das so sagen. Man gewinnt den Eindruck, dass die Geldpolitik der EZB zur Stützung der schlechten Schuldensituation einiger Eurostaaten im Süden dienen soll.

Beruhigt es Sie nicht, dass nur für 20 Prozent der Anleihen alle Euro-länder gemeinsam haften sollen?

Neumann: Ich befürchte, dass es nicht bei 20 Prozent gemeinsamer Haftung bleibt. Der Anteil kann noch geändert werden.

Sie haben gefordert, dass Griechenland aus der Eurozone aussteigen soll. Wäre das nicht unsolidarisch von Seiten der Gemeinschaft?

Neumann: Man kann es auch so sehen, dass es Griechenland deutlich besser ginge, wenn das Land aus eigener Entscheidung die Währungsunion verlassen hätte. Griechenlands Wirtschaft wäre ohne den Euro nicht so stark geschrumpft, weil sie mit einer schwächeren Währung wettbewerbsfähiger wäre.

Glauben Sie noch an einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone?

Neumann: Ich halte es für sehr wahrscheinlich, falls das Linksbündnis Syriza dort die Wahlen gewinnt und bei seinen Versprechen bleibt. Auf Deutschland hätte das aber kaum Auswirkungen, da Griechenlands Wirtschaft nur noch rund zwei Prozent der Leistung der Eurozone ausmacht. Die deutschen Unternehmen haben die Risiken in Griechenland längst in ihre Strategie einkalkuliert.

Aber von den politischen Folgen würde Deutschland wohl kaum verschont bleiben?

Neumann: Die wirtschaftliche Stützung eines Landes aus politischen Gründen kann zwar vorübergehend, etwa für ein Jahr, sinnvoll sein. Wenn die Stützung aber- wie in Griechenland - über Jahre hinweg nichts an der Verschuldungslage ändert, ist das nicht gerechtfertigt.

Die Deutschen scheinen trotz der anhaltend schwierigen Lage in Griechenland derzeit weniger besorgt um den Euro zu sein als noch vor zwei bis drei Jahren.

Neumann: Es liegt an der derzeit erstaunlich robusten Konjunktur und niedrigen Inflation in Deutschland, dass sich kaum jemand um die eigene wirtschaftliche Zukunft sorgt. Was viele ausblenden: In anderen Euroländern sind die Bedingungen viel schlechter.

Was droht uns noch in der Eurokrise?

Neumann: Die Bankenkrise aus dem Jahr 2012 ist zwar weitgehend überwunden, aber die Schuldenkrise der Staatshaushalte bleibt bestehen, Der große Knall kommt noch. Ich gehe davon aus, dass Länder wie Griechenland und andere, eventuell Italien, aus dem Euro austreten. In zehn Jahren wird es vielleicht nur noch einen Nord-Euro geben.

Zur Person

Manfred J.M. Neumann gilt als einer der profiliertesten Geldtheoretiker Deutschlands. Der emeritierte Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bonn war unter anderem Doktorvater des heutigen Bundesbank-Präsidenten Jens Weidmann, ebenfalls ein Kritiker der Euro-Rettungsstrategie der Europäischen Zentralbank (EZB). Neumann berät unter anderem das Bundesministerium für Wirschaft und Energie. Der 74-Jährige lebt in Bonn, ist verheiratet und hat zwei Kinder.

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