Interview: Armin von Buttlar von der Bonner Aktion Mensch "Den Blick auf die Fähigkeiten richten"

Eine Behinderung kann auf dem Arbeitsmarkt eine Chance und kein Hindernis sein, meint Armin von Buttlar, Vorstand der Bonner Aktion Mensch. Warum mehr Arbeitgeber diese Chance nutzen sollten, erklärt er im Gespräch mit Delphine Sachsenröder. Die gemeinnützige Organisation, die sich vor allem aus der Fernsehlotterie finanziert, unterstützt zahlreiche Projekte für die Eingliederung von Behinderten in den Arbeitsmarkt.

 Armin von Buttlar (54) führt seit 2013 als alleiniger Vorstand die Geschäfte der Aktion Mensch mit Sitz in Bonn. Der gelernte Bankkaufmann und Wirtschaftswissenschaftler war zuvor als Manager in Unternehmen tätig, unter anderem bei der Maxdata AG und der Merz-Gruppe.

Armin von Buttlar (54) führt seit 2013 als alleiniger Vorstand die Geschäfte der Aktion Mensch mit Sitz in Bonn. Der gelernte Bankkaufmann und Wirtschaftswissenschaftler war zuvor als Manager in Unternehmen tätig, unter anderem bei der Maxdata AG und der Merz-Gruppe.

Die Aktion Mensch beschäftigt in Bonn 270 Mitarbeiter, wie viele von ihnen haben eine Behinderung?

Armin von Buttlar: Das sind bei uns ungefähr 13 Prozent. Damit liegen wir deutlich über der vom Gesetzgeber geforderten Quote von fünf Prozent.

Damit ist die Aktion Mensch eine Ausnahme. Auf dem regulären Arbeitsmarkt liegt die Quote nur bei rund 4,6 Prozent.

von Buttlar: Leider ja. In Deutschland gibt es rund eine Million arbeitsfähiger Schwerbehinderte. Ihre Arbeitslosenquote liegt mit 14 Prozent rund doppelt so hoch wie die allgemeine Arbeitslosenquote. Dabei sind viele dieser Schwerbehinderten sehr gut ausgebildet. Doch weder vom Aufschwung noch vom Fachkräftemangel konnten sie bisher profitieren.

Warum finden Behinderte so viel schwerer einen Arbeitsplatz?

von Buttlar: Die Hauptursachen sind Berührungsängste und Nichtwissen bei den Arbeitgebern. Es gibt oft wenig Erfahrung mit behinderten Beschäftigten.

Sind Ängste vor höherem Aufwand bei der Einstellung von Behinderten nicht auch nachvollziehbar?

von Buttlar: Es sind nicht alle Befürchtungen von der Hand zu weisen, aber ich würde die Betrachtungsweise lieber umdrehen. Es gibt viele Fähigkeiten, die Menschen mit Behinderung mit auf den Arbeitsmarkt bringen. Das sind in der Regel eine hohe Loyalität und Einsatzbereitschaft. Dazu kommen spezielle Fähigkeiten.

Zum Beispiel?

von Buttlar: Den ausgeprägte Hörsinn von Blinden etwa nutzt die Polizei beim Abhören von Telefongesprächen. Softwarekonzerne stellen Autisten ein, um von ihren besonderen Rechenfähigkeiten zu profitieren. Dazu kommt, dass viele Behinderte schon allein um ihren Alltag zu regeln extrem gut organisiert sein müssen und über eine starke Durchhaltekraft verfügen. Diese Fähigkeiten bringen sie dann auch in ihren Beruf mit ein. Eine von uns initiierte wissenschaftliche Studie hat ergeben, dass mehr als 80 Prozent der Arbeitgeber, die Behinderte beschäftigen, mit deren Leistungen zufrieden sind und keine Leistungsunterschiede zu anderen Mitarbeitern sehen.

Oft wird der höhere Kündigungsschutz als Argument gegen die Einstellung von Behinderten genannt.

von Buttlar: Das halte ich für eine vorgeschobenes Argument. Denn so groß sind die Unterschiede zum regulären Kündigungsschutz nicht. Es muss lediglich das Integrationsamt einbezogen werden, das in der Regel auch für den Arbeitgeber gut tragbare Entscheidungen trifft.

Derzeit müssen Arbeitgeber mit mehr als 20 Beschäftigten, die keine Schwerbehinderten einstellen, eine Ausgleichsabgabe zahlen. Von dem Geld werden Arbeitsplätze für Behinderte, etwa der Umbau für Barrierefreiheit, gefördert. Ist dieses System sinnvoll?

von Buttlar: Es ist zwar schön, dass auf diese Weise etwas Geld für die Eingliederung von Menschen mit Behinderung in den Arbeitsmarkt zusammenkommt. Aber die Idee des "Freikaufens" halte ich für problematisch, da sie in die falsche Richtung weist. Wir müssen eher darauf aufmerksam machen, dass Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt wirklich etwas anzubieten haben.

Was bedeutet der Arbeitsplatz für Menschen mit Behinderung?

von Buttlar: Wie bei anderen Menschen auch ist der Arbeitsplatz eine Grundlage für ein selbstbestimmtes, unabhängiges Leben.

Sind Werkstätten für Menschen mit Behinderung eine Lösung für Probleme bei der Jobsuche?

von Buttlar: Es gibt in Deutschland immer weniger Jobs für gering qualifizierte Bewerber. Das betrifft auch die behinderten Menschen, die nur einfache Tätigkeiten ausüben können. Da können Werkstätten Sinn machen. Aber der Grundgedanke dahinter, eine parallele Arbeitswelt zu entwickeln, widerspricht dem Ziel der Inklusion, bei der Menschen mit Behinderung in der Mitte der Gesellschaft dabei sind. Dazu kommt: Der Schritt aus der Werkstatt auf den regulären Arbeitsmarkt gelingt nur in einem Prozent der Fälle.

Inklusion wird gerade an den Schulen umgesetzt. Wie schätzen Sie die langfristige Wirkung auf dem Arbeitsmarkt ein?

von Buttlar: Inklusion fängt so früh wie möglich an. Kinder gehen völlig unbefangen mit Behinderung um, sie sehen den Menschen hinter der Einschränkung. Wir hoffen, dass durch die Inklusion das Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderung selbstverständlicher wird und dadurch auch Berührungsängste in der Arbeitswelt langfristig abgebaut werden können.

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