Industriegeschichte in der Region 80 Jahre Sinterfertigung in Bad Godesberg

BONN · Seit 80 Jahren hat sich am Prinzip der Herstellung kaum etwas geändert: Für den sogenannten Sinterprozess wird Metallpulver in beliebige Formen gepresst. Bei mehr als 1000 Grad Hitze im Ofen verbinden sich die Bestandteile miteinander und werden fest. Ein Metallteil, etwa für den Autobau, entsteht.

 Die historische Aufnahme zeigt die Ringsdorff-Werke in Bad Godesberg Anfang des vergangenen Jahrhunderts. Hier wurden vor der Übernahme durch die Familie Ringsdorff Eisschränke gebaut.

Die historische Aufnahme zeigt die Ringsdorff-Werke in Bad Godesberg Anfang des vergangenen Jahrhunderts. Hier wurden vor der Übernahme durch die Familie Ringsdorff Eisschränke gebaut.

Foto: Privat

Auf diese Weise haben in den 30er Jahren die Bonner Ringsdorff-Werke produziert. Und so stellt auch heute, fast am selben Standort, GKN Sinter Metals seine Metallteile her. Allein 25 Millionen Halter für Innenspiegel im Auto verlassen jedes Jahr das Werk im Bad Godesberger Pennenfeld. Mit knapp 600 Mitarbeitern ist GKN Sinter Metals einer der größten Industriebetriebe Bonns.

Die Geschichte des Werks, seit 1997 Tochter des britischen Mischkonzerns GKN, beginnt deutlich vor dem Start der Sinterfertigung. 1910 kaufte das Essener Unternehmer-Ehepaar Johannes Peter und Paula Ringsdorff in Bad Godesberg die stillgelegte "Eisschrank- und Buffetfabrik Godorf" und widmete sie für die Graphit-Herstellung um. Das Unternehmen wuchs erfolgreich. 400 Beschäftigte arbeiteten bereits 1914 für Ringsdorff.

Mit dem Sinterverfahren betrat das Unternehmen 1934 Neuland. "Die Erforschung dieser Vorgänge ist noch nicht abgeschlossen", heißt es in einer "Technischen Mitteilung" aus diesem Jahr. Doch das gepresste Metallpulver bewährte sich im Einsatz. Im Zweiten Weltkrieg produzierte Ringsdorff im Sinterverfahren unter anderem Führungsringe für Granaten. Als Rüstungsbetrieb diente Ringsdorff als Zielscheibe frü beide Seiten: Bombardierungen durch die Gegner und Demontage durch die Wehrmacht vor Kriegsende setzten der neuen Technik in Bonn ein Ende - vorerst.

Denn nach 1945 folgte ein schneller Wiederaufbau. Unter anderem, weil die Alliierten in Deutschland dringend Ersatzteile für ihre Fahrzeuge brauchten, vermutete man im Unternehmen. Das Werk richtete seine Produkte in den kommenden Jahrzehnten immer mehr auf die Automobilindustrie aus. Aber Fahrrädern fanden sich Teile aus der Sinterfertigung: In den neunziger Jahren lieferte das Werk Rädchen für die damals neuen Fünf- und Sieben-Gang-Nabenschaltungen.

1993 kam der Einschnitt: Ringsdorff wollte sich auf das Geschäftsfeld Graphit konzentrieren, das heute in Bad Godesberg als SGL Carbon weiter vertreten ist. Die Sinterfertigung wurde von der Gründerfamilie verkauft und wechselte innerhalb weniger Jahre mehrfach den Besitzer. "Der Kostendruck war hoch", sagt der heutige Betriebsleiter Matthias Voss, "eine schwierige Zeit".

Unter dem Dach des britischen GKN-Konzerns geht es wieder aufwärts. Die Produktion braucht immer mehr Platz und expandiert im Pennenfeld. Auf der ehemaligen Tanzfläche der Diskothek Octagon stehen seit 2002 Präzisionswerkzeugmaschinen. Wo früher Holz Blum seine Ware lagerte, bereitet GKN heute Ware auf den Versand vor. Seit zwei Jahren trainieren im ehemaligen benachbarten Fitnesszentrum Auszubildende - nicht Muskeln, sondern ihre technischen Fähigkeiten. Selbst den Teil des Pennefeldwegs, der zwei Werksteile nach der Erweiterung trennte, hat sich GKN einverleibt. Mit der aktuellen Kritik an der Wirtschaftspolitik im Bonner Rathaus kann GKN wenig anfangen: "Wir fühlen uns von der Stadt hervorragend betreut und beraten", sagt Werkleiter Voss.

Schließlich will das Unternehmen weiter wachsen. Fünf Millionen Euro an Investitionen hat GKN für dieses Jahr am Standort Bonn veranschlagt. Der Spartenumsatz von 80 Millionen Euro soll laut Voss innerhalb der nächsten fünf Jahre um 20 Prozent wachsen.

"Wir wollen hier rund 50 neue Jobs schaffen", kündigt er an und räumt mit dem Vorurteil auf, dass sich in einem Hochlohnland wie Deutschland keine Massenproduktion von einfachen Teilen mehr rechnet.

Die kleinen Metallstücke, die in Millionenzahl das Bonner Werk verlassen, kosten im Schnitt 35 Cent. Die Autohersteller und ihre Zulieferer kaufen laut Voss regional ein, weil sie zuverlässige Lieferanten mit kurzen Transportwegen brauchen. Fehlen selbst kleinste Teile, stünden sonst unter Umständen bei Ford und Volkswagen die Bänder still.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort