Überlebensstrategien in der Welt der Anzugträger Viel Theater für ein gutes Gehalt

Bonn · Ein ehemaliger Mitarbeiter eines Bonner Großkonzerns erzählt in einem Buch von seinen Erfahrungen. Von faszinierenden Toiletten und der richtigen Zeit, eine E-Mail zu schreiben.

 In so manchem Büro gilt es, sich an bestimmte Regeln zu halten, um Anerkennung zu ernten.

In so manchem Büro gilt es, sich an bestimmte Regeln zu halten, um Anerkennung zu ernten.

Foto: picture alliance / Oliver Berg/d

Der Autor erinnert sich noch gut an seine erste Zeit. Mit 25 Jahren begann er, in einem Bonner Großkonzern zu arbeiten. Nicht nur sein Anzug vermittelte ihm damals das Gefühl: Jetzt geht es nach oben. Zu Beginn ist er vor allem fasziniert. Von Äußerlichkeiten, dem Gehabe der Mitarbeiter, den ganzen Abkürzungen, die die Kollegen benutzen, sogar von den Toiletten, die „irgendwie repräsentativ“ waren. In seinem Buch „Im goldenen Käfig – Meine Zeit im Großkonzern“, das er unter dem Pseudonym Robert Hechtl schreibt, erzählt er, wie er die Flure entlang schwebt und fühlt: Jetzt gehört er dazu. Und „all die gut gekleideten Menschen mit Handy am Ohr, die aussahen, als würden sie nicht nur mit dem Bundespräsidenten telefonieren, sondern dieser auch noch ihre Weisungen entgegennehmen“, beschreibt er seine Wahrnehmungen in einem Kapitel.

Doch nach einer ersten Eingewöhnungsphase kommen nach und nach die „Streben des goldenen Käfigs“ zum Vorschein, wie er heute sagt. Trotzdem machte er weiter. Der finanzielle Reiz lässt ihn durchhalten, auch wenn er in seiner Tätigkeit kaum eine Sinnhaftigkeit erkennen lässt – zwischen Konferenzen, Dienstreisen, Kämpfen um die größten Dienstwagen und immer dem Druck, wichtig auszusehen und vielbeschäftigt zu sein – selbst in den Pausen: „Wenn man zum essen verabredet ist, sagt man vorher besser: ich habe wenig Zeit und kommt dann etwas später.“ Das mache den gewünschten Eindruck.

Ähnlich verhält es sich mit dem Thema E-Mails: Auch in diesem Fall erntet der späte Vogel manchmal mehr Anerkennung. Die Herausforderung lautet: Die Mail so spät wie möglich schicken. Das sieht so aus, als würde man abends lange arbeiten. Das wiederum zeugt von Fleiß und Motivation. Der Chef und die Kollegen sind beeindruckt. Wer keine Lust hat, tatsächlich so lange zu arbeiten, versieht die E-Mail mit einem Timer, der die elektronische Post dann zustellt, wenn man selbst bereits längst auf dem Sofa weilt. Hechtl hat sich in acht Jahren an solche Verhaltensweisen gewöhnt und sie irgendwann brav befolgt.

Heute muss er selbst darüber lachen. Aber so funktioniere das Spiel in einem Großkonzern, erzählt er bei einem Minztee in einem Bonner Café. Er erzählt davon, was Mitarbeiter tatsächlich während Videokonferenzen machen – zum Beispiel die nächste Reise mit der Liebsten auf Barbados organisieren –, wie Berater mit Kickern im Aufenthaltsraum künstlich ihre Arbeitszeit verlängern oder eben, worauf man beim Konzern-konformen E-Mail-Verkehr achten sollte. Dabei sei nicht nur der Zeitpunkt des Versands entscheidend, sondern auch die Adressaten. „Wichtiger wirkt es immer, wenn man möglichst viele Kollegen in CC setzt“, erzählt Hechtl amüsiert.

Der Autor beschreibt eine Welt, in der es um Äußerlichkeiten, Täuschungen und Geld geht. Dennoch sagt er selbst, ist er dankbar für die Zeit und die Erfahrungen, die er machen durfte. Acht Jahre war er Teil der Konzern-Herde. Jetzt ist Hechtl 34 Jahre. Auf den ersten Blick doch sehr jung für ein solches Buch und sehr jung für eine berufliche Neuorientierung. Doch Hechtl war zu Beginn seiner beruflichen Laufbahn schnell: Mit 25 Jahren der Uni-Abschluss in BWL, dann in den Großkonzern, um Karriere zu machen.

Erst jetzt entschleunigt er sein Arbeitsleben. Blickt kritisch, aber auch immer mit einem Augenzwinkern auf die letzten Jahre, die nicht spurlos an ihm vorbeigegangen sind. Denn bei jedem Humor, verließ er seinen gut dotierten Job irgendwann auch, als der Stress schon körperliche Symptome forderte. Warum er und, wie er sagt, auch viele frühere Kollegen den Druck und das Theater aushalten: „Man strebt immer weiter nach Gehalt“, so Hechtl. Es sei das „Allheilmittel aller Wunden“ und als „Wiedergutmachung“ angesehen. Und es seien oft nur die finanziellen Reize, die die Leute dort halten.

Hechtl spielt so lange mit bis ihm bei einer Besprechung die Worte wegbleiben, er stottert und Herzrasen bekommt. Er will dennoch nicht abrechnen mit seinem früheren Arbeitgeber. Deshalb nennt er im Buch den Namen des Unternehmens auch nicht. Darum geht es ihm nicht. Hechtl ist ein optimistischer Mensch, mit Ideen und Träumen. Mit dem Buch hat er sich zumindest einen bereits erfüllt. Was er in Zukunft beruflich machen will? Das findet er gerade raus. „Es ist auch mal ganz schön, die Kinder in die Kita zu bringen“, beschreibt er seine derzeitige Situation. Zeit sei manchmal eben wichtiger als Geld.

Das E-Book „Im goldenen Käfig – Meine Zeit im Großkonzern“ von Robert Hechtl ist erhältlich bei Amazon und buecher.de , Preis: 9,99 Euro

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