GA-Serie "Bonn macht erfinderisch" - Folge 1 Kleine Funken, großes Feuer

Bonn · Glücklicher Zufall oder gezielte Suche? Ideen entstehen auf unterschiedliche Weise. Experte Frank Maikranz rät zu einem entspannten Umgang mit der Kreativität.

Eigentlich wollten sie eine Band gründen, nun sind sie Geschäftspartner. Martin Steber, Marius Hartmann und Martin Schlobach sitzen heute nicht etwa in einer schalldichten Garage mit Gitarre, Schlagzeug und Verstärker, sondern in einem Kleinbüro an der Godesberger Allee. Auf der Klingel steht "Vorreiter UG". Im Büro befinden sich drei Schreibtische, Bücherregale, ein Sofa sowie einige Stapel brauner Kartons. In Letzteren verbirgt sich der Grund für den plötzlichen Sinneswandel der drei Freunde - die wortwörtlich zündende Idee für ihr Start-up: ein ökologischer Grillanzünder aus Pappe.

"Der bringt Holzkohle innerhalb von 15 Minuten zum Glühen, ohne Spiritus oder andere chemische Grillanzünder", sagt Steber, während er auf den Pappvulkan auf dem Tisch deutet. Die Idee für seine Erfindung hat der 34-Jährige einem glücklichen Zufall zu verdanken. Während er in Bonn Geschichte studierte, brachte seine damalige Mitbewohnerin von ihrem Auslandssemester in Chile eine Methode mit, Holzkohle schneller zu entfachen als das bei anderen Grillanzündern der Fall ist. Dabei machte sie sich den Kamineffekt zunutze. "Als ich gesehen habe, wie gut das funktioniert, wollte ich da unbedingt mehr draus machen", sagt Steber. Kurzerhand kündigte er seine Stelle bei einer Friedensorganisation in Köln und erzählte Schlobach und Hartmann von der Idee.

Frank Maikranz, Gründungsdirektor von Centim (Centrum für Entrepreneurship, Innovation und Mittelstand) an der Hochschule Bonn/Rhein-Sieg, sieht darin einen fast schon klassischen Vorgang. Ideen entstünden ständig und überall, in aller Regel nebenbei. "Kreativität ist eben kein so genau zu planender Prozess wie Rosenzüchten." Ideen tauchten deshalb meistens dann auf, wenn man sie nicht erwartet - an den ungewöhnlichsten Orten und zu den ungewöhnlichsten Zeiten.

Ganz anders war es bei Jan Bergerhoff und Philipp Seegers, die mit Max Hoyer, ihrem ehemaligen Studienkollegen aus Maastricht, Anfang des Jahres Candidate Select gegründet haben - ein Spin-Off-Unternehmen der Uni Bonn. Im Gegensatz zum Grillanzünder der Vorreiter UG basiert ihre Idee nicht etwa auf einer glücklichen Fügung des Schicksals, sondern einer gezielten Suche. Bergerhoff und Seegers saßen bereits im Sommer 2013 zusammen und überlegten, womit sie an den Start gehen könnten. Ein Gedanke erwies sich als besonders vielversprechend: Wie könnte man Hochschulabschlüsse von Bewerbern vergleichbar machen? Die Lösungsmethode: mittels eines Wissenstests, der an Absolventen in ganz Deutschland verteilt wird. Kunden wären Unternehmen, die nach neuen Mitarbeitern suchen. "Wir wollen ihnen zeigen, wie gut jeder einzelne Bewerber wirklich ist", sagt Berger-hoff.

Von der gezielten Suche nach potenziellen Ideen für ein Start-up hält Maikranz nicht besonders viel. Er verfolgt den aktuellen Start-up-Hype mit Besorgnis. "Immer häufiger kommen junge Menschen zu mir in die Beratung und sagen: 'Ich will mich selbstständig machen, ich habe aber keine kreative Idee, was soll ich jetzt tun?' Für mich ist das schon der komplett falsche Ansatz." Die Gründer sollten mit der Idee beginnen und nicht mit dem Wunsch, auf der Welle der Start-up-Manie mitzuschwimmen. Natürlich könnten auch in gestellten Situationen wie etwa in Kreativwerkstätten Ideen wachsen, aber die erfolgreichsten Ideen in der Geschichte seien zufällig entstanden. Den Rat, den man potenziellen Gründern also geben könne: "Lassen Sie locker, versuchen Sie nicht auf Biegen und Brechen, eine Idee herauszupressen."

Die drei Freunde von der Vorreiter UG ließen es tatsächlich vergleichsweise entspannt angehen. Schlobach kam gerade von einer fünfwöchigen Sinnsuche auf dem Jakobsweg zurück, als ihm Steber von seiner Idee mit dem Grillanzünder erzählte. Für Schlobach war das die Initialzündung, auf die er gewartet hatte. Er kündigte seinen Behördenjob bei der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) in Bonn und schloss sich Steber an. Deutlich enthusiastischer hängt sich der 33-jährige Ingenieur für Gebäudetechnik nun in das gemeinsame Projekt hinein. Auf dem Bildschirm seines Rechners flimmern verschiedenfarbige Verlaufskurven und Fotos von glühenden Briketts. "In der Anfangszeit haben wir ständig Papier abgewogen, gegrillt und Protokoll geführt", erinnert er sich.

Vor allem die Konstruktion sei aufwendig gewesen, erinnert sich Steber, während er den Pappvulkan in die Hand nimmt, um dann mit einem Grinsen hinzuzufügen: "Wir haben uns am Anfang sogar eine Origami-Dokumentation angesehen, um Falttechniken zu erlernen." Der Papierverbrauch sei enorm gewesen. Später besorgten sich die drei daher alte Zeitungsrollen vom General-Anzeiger und kauften sich eine Papierschneidemaschine, um schneller voranzukommen. Irgendwann hatten sie dann endlich den ersten Prototypen entworfen: die Schnecke - eine aufgewickelte Papierrolle, die sich zu einem kleinen Turm hochziehen ließ.

So kann man seine Idee schützenNun mussten sie noch Fabriken finden, die ihr Produkt industriell herstellen konnten. Doch es stellte sich schnell heraus, dass keiner der angefragten Betriebe in der Lage war, den Grillanzünder serienmäßig zu produzieren. "Das war wie ein Faustschlag ins Gesicht", sagt Steber heute. Ganz so leicht wollten sie sich dann aber doch nicht geschlagen geben. Hartmann, Maschinenbauer und der einzige der drei Gründer, der parallel noch in einem Planungsbüro arbeitet, verfügte über entsprechende Kontakte. "Wir haben bei Maschinenbauunternehmen in ganz Deutschland angefragt, welche Fabriken passende Geräte besitzen könnten", so der 31-Jährige. Erst nach langer Suche wurden sie fündig.

Ihre Mühen skizzieren in etwa, was Maikranz über die Umsetzung einer Idee sagt: Eine Idee sei zunächst nur der kreative Funke über eine neuartige Sache oder ein neuartiges Verfahren. Aus diesem Funken könne man dann mit viel Arbeit ein kreatives Konzept entwickeln. "Dabei sollte man mit Freunden, Bekannten und anderen Menschen diskutieren und die Idee stetig verbessern", empfiehlt Maikranz. Auch der 27-jährige Bergerhoff und seine Kollegen von Candidate Select standen anfangs vor einigen Problemen: Es gebe leider sehr viele unterschiedliche Schreibweisen für die verschiedenen Universitäten. Die Entwicklung von Algorithmen habe daher mehr Zeit in Anspruch genommen als anfangs erwartet. Irgendwann müsse man aber letztlich den Sprung ins Ungewisse wagen, findet Bergerhoff: "Es kommt der Punkt, an dem man sich und sein Produkt einfach ausprobieren muss." Nur so zeige sich, ob eine Idee wirklich zünde.

Hartmann von der Vorreiter UG sieht in der langwierigen Entwicklung des Grillanzünders rückblickend sogar eine Chance. "Durch die Probleme haben wir noch coolere Lösungen gefunden." So habe eine Papierfabrik zum Beispiel den Vorschlag geäußert, die Schnecke mit einem kreuzförmigen Fuß zu stabilisieren, damit sie nicht umfällt. Der Grillanzünder sei letzten Endes die Summe verschiedener Ideen mehrerer Leute - ein "Netzwerkprodukt".

Auch wenn Vorreiter UG und Candidate Select auf unterschiedliche Weise zu ihren Ideen gekommen sind, so weisen sie laut der Definition von Maikranz alle Voraussetzungen auf, um erfolgreich zu sein. Denn die wichtigsten Kriterien seien der unbedingte Wille der Gründer und die Attraktivität des Produktes für den Verbraucher. Oder anders: Mit einer großen Portion Feuer werden selbst kleinste Funken zum Flächenbrand.

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