„Amazon ist weit vom Monopol entfernt“ Interview mit Simon-Kucher-Chef Georg Tacke über den Onlinehandel

Bonn · Vom Onlinehandel profitieren die Verbraucher, meint Preisexperte Georg Tacke von der Bonner Beratung Simon-Kucher.

 Der Onlinehandel werde in Deutschland weiter deutlich wachsen, meint Georg Tacke.

Der Onlinehandel werde in Deutschland weiter deutlich wachsen, meint Georg Tacke.

Foto: dpa

Herr Tacke, Sie beraten Firmen bei der Preisfindung. Ihr Eindruck – Ist im Internet alles billiger?

Georg Tacke: Nicht grundsätzlich. Schnäppchen gibt es online sowie offline. Aber es ist sowieso immer weniger der Preis, der Käufer ins Internet lockt.

Was ist es dann?

Tacke: Den Kunden geht es vor allem um die Möglichkeit, 24 Stunden am Tag einkaufen zu können. Es geht ihnen um ein nahezu unbegrenztes Sortiment und Praktikabilität. Man braucht nicht an der Kasse in der Schlange zu stehen und bekommt die Ware am nächsten Tag zugeschickt.

Das heißt, der Onlinehandel wächst weiter?

Tacke: Davon gehe ich aus. In Deutschland werden derzeit acht bis neun Prozent des Einzelhandelsumsatzes online erwirtschaftet, in China sind es mehr als 20 Prozent. Es gibt keinen Grund, warum wir langfristig niedriger liegen sollten als China.

Können Einzelhändler in Zukunft ohne Onlineshop überleben?

Tacke: Ein Kiosk bleibt ein Kiosk. Der braucht keinen Onlineshop. Dasselbe gilt für das spezialisierte Schuh- oder Modegeschäft, das mit individueller Beratung und der Anprobe vor Ort punktet. Die Großen haben in der Regel bereits heute einen Onlineshop, oftmals aber keinen guten. Bei Kaufprozess, Lagerverfügbarkeit, Versand darf man sich keine Schwäche erlauben, sonst ist der Kunde weg.

Die Digitalisierung bringt neue Möglichkeiten. Preise können schnell geändert werden – online oder mit elektronischen Preisschildern im Laden. Wohin führt die Entwicklung?

Tacke: Im Onlinehandel sind mehrfach pro Stunde wechselnde Preise schon gang und gäbe. Die Händler beobachten mit spezieller Software die Preisgestaltung der Konkurrenten und reagieren sofort auf Veränderungen. Gerade in Branchen wie der Unterhaltungselektronik mit starkem Wettbewerb wird sich dieser Trend fortsetzen. Bei sehr speziellen Produkten, wie ausgefallenen Modeartikeln, ändern sich dagegen auch online die Preise über mehrere Tage hinweg kaum.

In Ladengeschäften, etwa bei Tankstellenshops, waren Kunden bei Versuchen mit deutlich schwankenden Preisen bisher schnell verärgert.

Tacke: Wenn eine Ware teurer wird, gibt es immer Kritik. Aber gerade für Tankstellenshops macht so eine Preisgestaltung Sinn. Sie können nachts mehr verlangen, weil kein Konkurrent mehr geöffnet hat. Dazu kommt, dass sie ihren Mitarbeitern in dieser Zeit höhere Löhne zahlen müssen. Für große Handelsketten mit Onlineshops, wie etwa Mediamarkt, gilt: Wenn der Preis sich online deutlich verändert muss sich diese Entwicklung auch im Laden widerspiegeln. Alles andere wäre für die Kunden nicht nachvollziehbar.

Verbraucher haben oft das Gefühl, dass im Internet die Preise von Kunde zu Kunde unterschiedlich ausfallen.

Tacke: Dieses Phänomen wird massiv überschätzt. Zum einen ist eine solche Preisgestaltung zum Teil verboten. Zum anderen würde dadurch das Vertrauen der Kunden beschädigt, was gerade für Onlinehändler schädlich ist.

Hat die Digitalisierung zum „gläsernen Kunden“ geführt?

Tacke: Davon sind wir noch weit entfernt. Ich würde es im Moment eher als Milchglas bezeichnen. Es werden zwar schon viele Kundendaten gesammelt und daraufhin auf den Einzelnen zugeschnittene Angebote erstellt. Aber da ist noch viel Luft nach oben.

Diese Datensammlung macht Ihnen keine Sorgen?

Tacke: Bisher haben die Verbraucher von der Digitalisierung vor allem profitiert. Die stärkere Vergleichbarkeit, unter anderem durch Preisvergleichsportale, hat dazu geführt, dass vieles günstiger angeboten wird. Früher wusste doch keiner ob die Ware, die er in Bonn gekauft hat, nicht in Köln billiger angeboten wird. Außerdem sinkt durch Bewertungen im Onlinegeschäft die Gefahr, auf Betrüger hereinzufallen. Diese Qualitätstransparenz ist sogar noch wichtiger als die Preistransparenz. Und beides ist für die Verbraucher sehr vorteilhaft.

Viele Menschen fürchten, dass Handelsriesen wie Amazon ein Monopol aufbauen und dann die Preise deutlich erhöhen.

Tacke: Amazon ist weltweit und auch in Deutschland von einer Monopolstellung weit entfernt. Der Marktanteil am Onlinehandel liegt ungefähr so hoch wie der von Volkswagen auf dem Automobilmarkt. Neben einem Generalisten wie Amazon wird es im Internet weiterhin Chancen für Spezialisten und starke Marken geben, die online und offline geschickt verbinden. Im Gegensatz zu Amazon kann man sich bei Elektronikketten in Deutschland Produkte schon im Laden anschauen und vor Ort bequem nach Hause bestellen.

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