GA-Interview mit Christina Dahlhaus „Die Personaldecke bei der Post ist sehr dünn“

Bonn · Seit 1997 sitzt die Kommunikationsgewerkschaft DPV in Bonn. Sie kümmert sich um Mitarbeiter der Post, Postbank, Telekom und Call-Centern. Ein GA-Interview mit der Vorsitzenden Christina Dahlhaus von der DPVKom.

Was sind Ihre Ziele im neuen Amt?

Christina Dahlhaus: Als Fachgewerkschaft wollen wir natürlich die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in unserem Organisationsbereich verbessern. Genauso wichtig ist es jedoch, auch zukünftig für unsere Mitglieder da zu sein, wenn sie uns brauchen. Darüber hinaus wollen wir unser ohnehin schon umfangreiches Leistungsangebot weiter ausbauen, mehr Mitglieder gewinnen und verstärkt Gehör in der Öffentlichkeit finden.

Wie viele Mitglieder hat die Gewerkschaft?

Dahlhaus: Es entscheiden sich immer mehr Beschäftigte für eine Mitgliedschaft in unserer Fachgewerkschaft. Das ist erfreulich.

2016 hat ihr Vorgänger von 20 000 Mitgliedern gesprochen. Jetzt sind es also mehr?

Dahlhaus: Wir sind gewachsen.

Neben Verdi ist die DPVKom die zweite Gewerkschaft, die in den Postnachfolgeunternehmen tätig ist. Wie ist es heute, die „kleinere“ Gewerkschaft“ zu sein?

Dahlhaus: Das ist ja nichts Neues für uns. Auf die Größe kommt es auch gar nicht immer an. Viel entscheidender ist, dass wir nah dran sind an den Sorgen und Nöten der Beschäftigten und unserer Mitglieder. Außerdem hat Gewerkschaftsarbeit auch immer etwas mit Glaubwürdigkeit und Leidenschaft zu tun. Und die verkörpern wir seit nunmehr 128 Jahren.

Mehr als zwei Jahre gibt es das Gesetz zur Tarifeinheit, nach dem sich der Tarifvertrag der Gewerkschaft durchsetzt, die in dem Betrieb die meisten Beschäftigten hinter sich hat. Wie wirkt sich das auf Ihre Arbeit aus?

Dahlhaus: Das Tarifeinheitsgesetz wirkt sich auf unsere Arbeit eher weniger aus, da sowohl die Deutsche Post als auch die Deutsche Telekom das Tarifeinheitsgesetz gar nicht anwenden. Bei beiden Unternehmen gibt es einheitliche Tarifverträge. Für die DPVKom war und ist wichtig, dass wir auch nach dem Tarifeinheitsgesetz weiterhin für unsere Tarifforderungen streiken können. Das Bundesverfassungsgericht hat das Gesetz ja in Teilen für verfassungswidrig erklärt und an den Gesetzgeber zurückgereicht, verbunden mit der Auflage, das Gesetz nachzubessern. Ich hätte mir dazu im Koalitionsvertrag konkretere Aussagen gewünscht.

Das Gesetz ist in Ihren Augen ein Papiertiger geblieben?

Dahlhaus: Was heißt Papiertiger? Aus unserer Sicht verstößt es gegen das Grundgesetz, da es Rechte von Gewerkschaften einschränkt. Sollte es flächendeckend angewandt werden, so wäre damit ein Haufen Bürokratie verbunden. Dann müsste beispielsweise in jedem Betrieb überprüft werden, wer in welcher Gewerkschaft organisiert ist. Der Gesetzgeber hat nun die Aufgabe, das Gesetz bis Ende 2018 nachzubessern. Wir fordern, dass er es komplett einkassiert.

Um welches der drei Postnachfolgeunternehmen müssen Sie sich derzeit am meisten kümmern?

Dahlhaus: Eigentlich um alle. Das erste Halbjahr ist eines der spannendsten und arbeitsintensivsten in der jüngeren Vergangenheit. Wir haben zurzeit die Tarifverhandlungen bei Post und Telekom. Im März finden außerdem noch die Aufsichtsratswahlen bei der Deutschen Post statt, bei denen wir antreten. Und es werden bis Ende Mai in allen Postnachfolgeunternehmen sowie in der Call-Center-Branche neue Betriebsräte gewählt.

Wie weit sind Sie bei den Tarifverhandlungen mit der Post? Verdi befragt ja gerade die Mitarbeiter zum Angebot des Arbeitgebers.

Dahlhaus: Wir werden das Angebot, sobald es uns vorliegt, detailliert prüfen und darüber in unseren Gremien und mit Mitgliedern diskutieren. Auf den ersten Blick beinhaltet es noch Regelungen, die uns Bauchschmerzen bereiten.

Das Unternehmen ist wirtschaftlich erfolgreich. Wie ist die Situation der Beschäftigten?

Dahlhaus: Nicht gut. Bis 2020 will das Unternehmen den Gewinn auf fünf Milliarden Euro steigern. Das kann nur auf dem Rücken der Beschäftigten funktionieren. Die Personaldecke bei der Post ist ohnehin schon sehr dünn. Die Zustellbezirke werden immer größer. Der Krankenstand ist exorbitant hoch. Es kann den Mitarbeitern oft kein Überstundenausgleich gewährt werden.

Wie entwickelt sich die Lage bei den Delivery-Tochtergesellschaften der Post, wo die Zusteller nach dem niedrigeren Tarif des Speditions- und Logistikgewerbes bezahlt werden?

Dahlhaus: Grundsätzlich haben wir natürlich immer noch das Problem, dass es für gleiche Arbeit nicht den gleichen Lohn gibt. Die Zusteller der Delivery-Gesellschaften arbeiten im gleichen Unternehmen wie die Kollegen der Muttergesellschaft, bekommen aber weniger Geld dafür. Das muss sich ändern. Außerdem werden immer noch zu viele Mitarbeiter befristet eingestellt. Der Personalmangel bei den Delivery-Gesellschaften kann nur mit höheren Löhnen und unbefristeten Arbeitsverhältnissen beseitigt werden.

Ein Wort zur Deutschen Telekom: Wie beurteilen Sie die Situation dort?

Dahlhaus: Zur Telekom fällt mir immer der Spruch ein: „Ein Leben auf der Überholspur“. Im Unternehmen jagt nach wie vor eine Umorganisation die nächste. Im vergangenen Jahr haben wir dort unter dem Titel „Einfach anders“ die 27. große Umorganisation seit der Privatisierung gehabt. Darunter leiden die Arbeitsabläufe im Unternehmen und natürlich die Motivation der Beschäftigten. Es fehlt auch an internen Qualifikationsmöglichkeiten, um die Beschäftigten für die zukünftigen Anforderungen fit zu machen.

Wird die Möglichkeit, vorübergehen die Wochenarbeitszeit für bestimmte Abteilungen zu verlängern, stark vom Arbeitgeber genutzt?

Dahlhaus: Ja, wird sie. Allerdings kommt es dadurch auch immer wieder zu Arbeitszeitverstößen und Überlastungsanzeigen durch Mitarbeiter – auch wenn letztere noch viel stärker genutzt werden müssten, um Abhilfe zu schaffen. Viele Mitarbeiter gehen nämlich auf dem Zahnfleisch.

Wie kommen die Mitarbeiter mit dem Null-Fehler-Anspruch klar, der ihnen vom Management vorgegeben wurde?

Dahlhaus: Das ist natürlich ein sehr hoher Anspruch, der nicht immer zu erfüllen ist. Die Mitarbeiter tun jedenfalls ihr Bestes, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Und viele erwarten dann natürlich auch eine Null-Fehler-Strategie bei ihren Vorgesetzten.

Bei der Postbank die ersten Weichen zur Wiedereingliederung in die Deutsche Bank gestellt sind: Nimmt die Verunsicherung der Mitarbeiter ab, die nach Bekanntgabe der Wiedereingliederung aufkam?

Dahlhaus: Die Verunsicherung ist nach wie vor hoch. Die Mitarbeiter wissen noch nicht, wie die neuen Teams strukturiert sein werden. Das gibt es noch nicht wirklich Konkretes. Wir haben mit unserer Tarifgemeinschaft einen sehr guten Kündigungsschutz ausgehandelt, der bis zum 30. Juni 2021 reicht. Das schafft ein Stück Sicherheit.

Wie entwickelt sich das Modell des engagierten Vorruhestands, bei dem Beamte der Postnachfolgeunternehmen ab 55 Jahren vorzeitig in den Ruhestand gehen können, wenn sie sich ehrenamtlich engagieren?

Dahlhaus: Bei der Postbank wird diese Möglichkeit auf jeden Fall eine größere Rolle spielen, weil es dort auch als Personalabbauinstrument genutzt wird. Bei der Post ist der Kreis derjenigen, die eine Vorruhestandsregelung in Anspruch nehmen können, sehr klein. Ausgerechnet die Zusteller im einfachen Dienst, die seit Jahren bei Wind und Wetter draußen sind, bleiben hier außen vor. Das ist ungerecht.

Wie sehen die beruflichen Perspektiven für Beamte bei Post, Postbank und Telekom aus?

Dahlhaus: Deutlich schlechter als für die Beamten im öffentlichen Dienst. Ein Aufstieg ist nur in Einzelfällen möglich. Die Beförderungsquote in den Unternehmen muss deutlich angehoben werden.

Wie beurteilen Sie den Koalitionsvertrag in Hinblick auf befristete Arbeitsverträge?

Dahlhaus: Kritisch, hier hätte ich mir mehr Mut seitens der großen Koalition gewünscht. Die Vereinbarung, dass die Befristung von Arbeitsverträgen ab einer Betriebsgröße von 75 Mitarbeitern auf 2,5 Prozent der Gesamtbeschäftigten beschränkt ist, ist zwar positiv. Allerdings ist die nun vorgesehene Maximaldauer eines befristeten Arbeitsvertrages von nur noch 18 statt 24 Monate mit einer einmaligen Verlängerungsmöglichkeit kein großer Wurf und nach wie vor eine unsoziale Zumutung. Auch dass die zeitliche Obergrenze für die sogenannte Kettenbefristung auf fünf Jahre beschränkt wurde, ist reicht aus unserer Sicht nicht aus. Es sind weiterhin fünf Jahre, die für Beschäftigten viel Unsicherheit mit sich bringen.

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