"Wir sind nicht die Vereinigten Staaten von Europa"

Warum eine Sprache nicht reicht - Leonard Orban über seine Arbeit als erster rumänischer EU-Kommissar in Brüssel

"Wir sind nicht die Vereinigten Staaten von Europa"
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Bukarest. Leonard Orban hat am 1. Januar das Amt des EU-Kommissars für Sprachenvielfalt übernommen. Der parteilose rumänische Politiker spricht neben seiner Muttersprache auch fließend Englisch und Französisch. Italienisch und Ungarisch beherrscht er passiv und legt den Europäern das Sprachenlernen ans Herz. Mit dem 45-Jährigen sprach Katharina Lötzsch.

General-Anzeiger: Kritiker frotzeln, ihr neues EU-Ressort "Mehrsprachigkeit" sei "viel zu dürftig" für einen EU-Kommissar. Wurden die Rumänen als Neumitglieder mit einem "Hausmeisterposten" abgespeist?

Leonard Orban: Das Thema wird eindeutig unterschätzt. Es hat politische, wirtschaftliche und soziale Auswirkungen. Sprachenvielfalt dient als Fundament - mit Verbindungen zu Kultur, Bildung und Wettbewerbsfähigkeit. Es betrifft die linguistischen Rechte von Minderheiten und die offiziellen Sprachen der EU. Ich werde künftig für mehr als 3 400 Mitarbeiter zuständig sein, mehr als 15 Prozent des Kommissionspersonals. Nein, es wird keinesfalls ein Aufgabenbereich "light".

GA: Seit Anfang Januar hat Mie Europäische Union 23 offizielle Sprachen: Gaelisch, Rumänisch und Bulgarisch kommen hinzu. Sollten wir uns der Einfachheit halber nicht auf eine Lingua franca einigen?

Orban: Nein. Dieses Nebeneinander offizieller Sprachen bewahrt die einmalige kulturelle Vielfalt Europas. Wir sind nicht die Vereinigten Staaten von Europa! Der Sprachenreichtum bestimmt unser Kulturerbe.

GA: Aber ein Übersetzungstag kostet die EU rund 90 000 Euro.

Orban: Ja, wir müssen diese Kosten im sinnvollen Rahmen halten. Deshalb wird die Anzahl der übersetzten Dokumente limitiert, nicht alle Unterlagen werden in alle offiþiellen Sprachen übertragen - einige nur in Englisch, Französisch und Deutsch.

GA: Wenn Dokumente nicht in alle Sprachen übersetzt werden, þaben die EU-Bürger keinen vollen Zugang zum Entscheidungsprozess. Trägt das nicht zum Demokratiedefizit in der EU bei?

Orban: Gesetze, die das Leben der Menschen betreffen, müssen natürlich in deren Muttersprachen übersetzt werden. Es gibt übrigens nicht nur eine starke Lobby für umfassende Übersetzungen in alle offiziellen Sprachen, sondern auch eine für Regionalsprachen. Fast zehn Millionen Europäer sprechen Katalanisch. Sie fragen, warum maltesisch, das von etwa 500 000 Menschen gesprochen wird, eine offizielle Sprache ist, Katalanisch aber nicht.

GA: Sie haben angekündigt, das Sprachenlernen zu fördern. "Muttersprache plus zwei" heißt das Credo. Kann man die Menschen in Europa zwingen, Fremdsprachen zu büffeln?

Orban: Nein, wir werden auch die Mitgliedsstaaten zu nichts zwingen. Aber die Kommission kann Sprachenlernen stimulieren und herausragende Projekte unterstützen. Die Mobilität und die Ausbildung der Sprachlehrer können verbessert werden, um die Qualität der Kurse zu maximieren.

GA: Etwa 30 Prozent der Bürger Europas sprechen bereits "Muttersprache plus zwei". Reicht das nicht - für die Wettbewerbsfähigkeit zum Beispiel?

Orban: In rumänischen Supermärkten findet man einige Elektroprodukte, deren Gebrauchsanleitung nur auf Englisch beiliegt. Für die Käufer kann das kompliziert werden. Internationale Unternehmen müssen heute in der Lage sein, in der Muttersprache ihrer Kunden zu kommunizieren und dafür brauchen sie eine gute Strategie für Mehrsprachigkeit - vor allem kleine und mittelständische Firmen, wenn sie auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig sein wollen.

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