EU-Gipfel Druck auf May nach Schlappe im Parlament

London/Brüssel · Nur eine hauchdünne Mehrheit im Parlament, viel Streit in der eigenen Partei: Die jüngste Abstimmungsschlappe im Londoner Parlament dürfte die Position von Premierministerin Theresa May noch weiter schwächen. Die EU-Seite reagiert hingegen gelassen.

Die Abstimmungsniederlage von Premierministerin Theresa May im britischen Parlament wird sich aus Sicht führender EU-Politiker kaum auf die Brexit-Verhandlungen auswirken.

"Ich glaube, sie steht immer noch sehr gut da", sagte der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte vor dem EU-Gipfel in Brüssel. Man solle May nicht unterschätzen.

Auch Österreichs Kanzler Christian Kern sieht keine großen Folgen durch die Entscheidung des Londoner Parlaments, sich ein Vetorecht über den EU-Austrittsvertrag zu erstreiten. Große Herausforderungen stünden aber noch bevor. Der Kuchen sei noch lange nicht gegessen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte sich bei ihrer Ankunft beim Gipfel nicht zu Mays Schlappe am Mittwochabend. Die CDU-Chefin sagte nur, sie sehe gute Chancen, dass nun die zweite Phase der Brexit-Verhandlungen beginnen könnten.

Bei der Abstimmung im Parlament am Mittwochabend hatten sich die Abgeordneten gegen den Willen der Regierung das Recht gesichert, über ein Brexit-Abkommen abstimmen zu dürfen. Mehrere Rebellen aus der Regierungsfraktion hatten sich mit der Opposition verbündet. Sie wollten sich mehr Einfluss auf die Brexit-Verhandlungen sichern. Die Abgeordneten hatten den Änderungsantrag zum Gesetz mit 309 Stimmen angenommen, nur 305 Parlamentarier stimmten mit der Regierung ab. May zeigte sich in Brüssel unzufrieden: "Ich bin enttäuscht." Dennoch gebe es beim geplanten EU-Austrittsgesetz Fortschritte.

Einer der Tory-Rebellen wurde umgehend abgestraft: Der Vize-Vorsitzende der Konservativen, Stephen Hammond, verlor seinen Posten. Er sei darüber sehr enttäuscht, twitterte er. Seiner Ansicht nach war der Änderungsantrag notwendig, um die Souveränität des Parlaments zu sichern. Das Abstimmungsergebnis stoppe aber nicht den Brexit und untergrabe auch nicht die Autorität Mays. Ein Nachfolger für sein Amt war am Donnerstag zunächst nicht bekannt.

Auch die britische Presse ging teils hart mit den Tory-Rebellen ins Gericht. "Seid ihr stolz auf euch?", fragte die konservative "Daily Mail" auf der Titelseite und zeigte Fotos aller Tory-Rebellen.

"Das britische Parlament hat die Kontrolle zurückgewonnen ... Ein guter Tag für die Demokratie", twitterte dagegen der Brexit-Koordinator des Europaparlaments, Guy Verhofstadt. "Die Niederlage ist ein demütigender Autoritätsverlust für die Regierung", twitterte der britische Oppositionsführer Jeremy Corbyn.

May hat seit der Neuwahl im Juni massiv an Rückhalt verloren. Die Konservativen hatten ihre Parlamentsmehrheit eingebüßt und sind seitdem auf die Unterstützung der nordirisch-protestantischen DUP (Democratic Unionist Party) angewiesen. May regiert nun mit einer hauchdünnen Mehrheit von nur sieben Mandaten. Zudem sind sich die Konservativen im Brexit-Kurs nicht einig. Kabinettsmitglieder wie Außenminister Boris Johnson sind ihr oft in die Parade gefahren.

Jetzt muss sie möglicherweise Zugeständnisse an EU-freundliche Abgeordnete in der Regierungsfraktion machen, um das Ja des Parlaments zum Abkommen mit Brüssel zu erhalten. Das könnte bedeuten, dass sie weiter von ihrer harten Brexit-Linie abrücken muss. Die Regierung gab sich nach der Abstimmung kämpferisch. "Wir werden nun herausfinden, welche weiteren Änderungen an dem Gesetz notwendig sind, um sicherzustellen, dass es seinen wichtigen Zweck erfüllt."

Brexit-Hardliner warfen den EU-freundlichen Tory-Rebellen unter Führung des Ex-Generalstaatsanwalts und konservativen Abgeordneten Dominic Grieve vor, das ganze EU-Austrittsgesetz behindern zu wollen.

Mit dem EU-Austrittsgesetz soll die Geltung von EU-Recht in Großbritannien beendet werden. Gleichzeitig sollen alle EU-Vorschriften in nationales Recht übertragen werden, damit beim Austritt kein Chaos entsteht. May muss mit weiteren Niederlagen in den kommenden Wochen rechnen. Zu dem Gesetz waren Hunderte Änderungsanträge eingebracht worden.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Es fehlt der Glaube
Kommentar zur startenden Freibadsaison in Bonn Es fehlt der Glaube
Zum Thema
Aus dem Ressort