Analyse Europas Kampf gegen Facebook und Co.

Brüssel · Jahrelang konnte das Soziale Netzwerk Facebook in Europa weitgehend unbehelligt schalten und walten. Nach den jüngsten Skandalen wird es für den US-Datenriesen zunehmend ungemütlich. Der Fall hat Symbolkraft für das Verhältnis zwischen Europa und der Tech-Branche.

 Das Facebook-Logo auf einem iPad.

Das Facebook-Logo auf einem iPad.

Foto: Matt Rourke/AP

Kritik an Datenlecks, Hassrede, Wettbewerbsgebaren und fragwürdigen Steuerpraktiken - amerikanischen Technologie-Firmen bläst in Europa mittlerweile ein schärferer Wind entgegen.

Der nächste Schritt kommt am Freitag: Dann treten die neuen Datenschutzregeln in Kraft, die vor allem Facebook und andere Online-Dienste in Zugzwang bringen. Die EU versucht zwar nicht nur Facebook einzuhegen - das weltgrößte Online-Netzwerk steht in vielen Bereichen jedoch exemplarisch.

Facebook-Chef Mark Zuckerberg bemüht sich um versöhnliche Töne - und gibt sich als großer Fan der Datenschutz-Grundverordnung. Bei beinahe jeder Gelegenheit kündigt er an, die Regeln weltweit anwenden zu wollen - wenn auch die entsprechenden Rechte nur Einwohnern der Europäischen Union vorbehalten bleiben sollen. Die EU sieht sich als Vorreiterin: "Demokratische Staaten auf der ganzen Welt nehmen die Datenschutz-Grundverordnung jetzt als Inspiration", sagte EU-Justizkommissarin Vera Jourova jüngst.

Dabei haben amerikanische Internetfirmen noch vor wenigen Jahren heftig im Hintergrund gegen das neue EU-Gesetz lobbyiert. Heute sieht die Welt anders aus: Datenschutz ist im allgemeinen Bewusstsein angekommen, der Datenskandal um Cambridge Analytica hat zumindest Facebook in seine tiefste Krise gestürzt. "Dieser Fall ist zu wichtig, um ihn wie gewöhnlich zu nehmen", sagte Jourova. Doch auch alle anderen Datensammler fürchten um das Vertrauen ihrer Nutzer. Ein Überblick über die Streitpunkte:

DATENSCHUTZ:

87 Millionen Menschen sind nach Facebook-Angaben vom aktuellen Datenleck betroffen, in der EU könnten es bis zu 2,7 Millionen sein. "Wir haben vorhergesehen, dass es Fälle wie diesen geben könnte, und wollten gut vorbereitet sein", sagte Jourova.

Tatsächlich: Die EU hat früh erkannt, dass Soziale Netzwerke und andere Online-Dienste Schranken brauchen. Anfang 2012 stellte die EU-Kommission in Brüssel einen Vorschlag für die umfassende Reform des Datenschutzes vor. "Die heute vorgeschlagenen Änderungen werden das Vertrauen in Onlinedienste stärken", sagte die damalige Justizkommissarin Viviane Reding. Gut vier Jahre später einigten sich Europaparlament und EU-Staaten auf eine endgültige Fassung.

Die Tech-Giganten geben sich heute handzahm, wenngleich die meisten froh sein werden, dass Facebook im Mittelpunkt steht. Bundesjustizministerin Katharina Barley (SPD) kündigte jedoch unlängst an, auch sie in den Blick zu nehmen. Es sei schade, dass sich alle Aufmerksamkeit auf Facebook richte. "Wir müssen das schon erweitern auf die anderen Player, die ducken sich jetzt etwas weg".

Facebook selbst entschuldigte sich mit ganzseitigen Zeitungsanzeigen für das Datenleck: "Es ist unsere Verantwortung, Deine Informationen zu schützen. Wenn wir das nicht können, haben wir diese Verantwortung nicht verdient." Für den Zuckerberg-Konzern geht es um das Vertrauen seiner Nutzer.

Justizkommissarin Jourova brachte in der "Süddeutschen Zeitung" angesichts der Dimension des Datenskandals auch härtere Geschütze ins Spiel: In der Kommission werde darüber nachgedacht, auch Algorithmen, die wichtigsten Instrumente der Plattformen, zu regulieren. Die Datenanalysefirma Cambridge Analytica selbst beantragte mittlerweile Insolvenz. Die Medienberichte über die Firma hätten praktisch alle Kunden vertrieben, hieß es zur Begründung.

STEUERN:

Eine der weitreichendsten Attacken auf das Geschäftsmodell der Tech-Industrie legte die EU-Kommission im März vor. Nach den Plänen der Brüsseler Behörde sollen große Internetkonzerne künftig deutlich mehr Steuern in Europa zahlen. Abgaben sollen in erster Linie dort fällig werden, wo die Nutzer sitzen und wo Online-Erträge entstehen.

Das Problem aus Brüsseler Sicht ist, dass klassische Industriebetriebe über Produktionsstätten und Geschäftsräume zu erfassen sind, Digitalkonzerne aber nicht. Sie haben ihren Sitz oft nur in einem EU-Staat oder gar außerhalb Europas und bündeln ihre Aktivitäten dann an Standorten mit für sie günstigen Steuersätzen. Dabei haben sie aber auf dem ganzen Kontinent Einnahmen. Facebook sitzt etwa seit Jahren in Irland.

Die irische Regierung gehört nun auch bezeichnenderweise zu den größten Kritikern der verschärften Steuerpläne aus Brüssel, die vor allem von Frankreich unterstützt werden. Doch eine ganze Reihe anderer EU-Staaten sieht die Sache kritischer.

Die irische Regierung argumentiert unter anderem mit einem drohenden Handelskrieg zwischen den USA und Europa. Angesichts der von Donald Trump angedrohten Abschottungszölle solle nicht noch weiter Öl ins Feuer gegossen werden. "Wir haben zwischen Europa und den USA derzeit ohnehin sehr schwierige Diskussionen über die Handelspolitik", sagte der irische Finanzminister Paschal Donohoe dem "Handelsblatt". "Wir glauben, dass die EU jetzt keine Steuerprojekte angehen sollte, die unsere Beziehungen weiter belasten könnten und die Gespräche noch schwieriger machen."

Das Wort der Iren hat besonderes Gewicht, da in Steuerfragen sämtliche EU-Staaten neuen Gesetzen zustimmen müssen. Eine rasche Einführung dieser Steuer scheint unwahrscheinlich. "Es gibt viele verschiedene Ansichten", meinte EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici unlängst.

FAKE NEWS, HASSREDE, TERRORPROPAGANDA

Kindesmissbrauch, Falschnachrichten und Propaganda von Terroristen - auch das sind die Schattenseiten sozialer Netzwerke. Im Kampf dagegen setzt Brüssel bislang auf Freiwilligkeit. 2016 hatten sich die Online-Plattformen dazu verpflichtet, stärker gegen Hasskriminalität vorzugehen. Anfang März präsentierte die EU-Kommission weitere Empfehlungen für Facebook, Twitter und Co: Sie sollten gemeldete Propaganda binnen einer Stunde löschen und es müsse automatische Mechanismen zum Erkennen gefährlicher Inhalte geben. Für das Melden illegaler Inhalte brauche es einfache Regeln, bei Beweisen für eine schwere Straftat müsse eng mit den nationalen Behörden zusammengearbeitet werden.

Allerdings: Bislang sind das eben nur Empfehlungen. Doch auch hier zieht die EU-Kommission die Daumenschrauben an: Man wolle die Umsetzung genau verfolgen - und gegebenenfalls Rechtsvorschriften erlassen. Die könnten dann verbindlich sein. Die Internet-Konzerne scheinen sich zu bewegen: Mittlerweile werden nach Angaben der Kommission 70 Prozent der gemeldeten Hassbotschaften gelöscht, in mehr als 80 Prozent der Fälle geschieht das innerhalb von 24 Stunden.

Facebook kündigte zuletzt sogar an, seine Löschzentren deutlich auszubauen. In Berlin und Essen sei bis zum Jahresende eine Aufstockung von derzeit je 750 auf je 1000 Beschäftigte geplant. Weltweit werde die Zahl der Mitarbeiter, die Inhalte prüfen und sich um Sicherheitsthemen kümmern, von 15 000 auf mehr als 20 000 erhöht, hieß es. Hintergrund ist hier wohl ein deutsches Gesetz. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz verpflichtet Internet-Plattformen, strafbare Hassreden und gefälschte Nachrichten zu löschen - und droht andernfalls mit empfindlichen Strafen.

Brüssel hingegen setzt auch bei Falschnachrichten auf Freiwilligkeit. Eine EU-Expertenkommission empfahl im März etwa Selbstverpflichtungen der sozialen Netzwerke. In Zusammenarbeit mit Medien sollten sie die Inhalte glaubwürdiger Quellen besser sichtbar machen. Wenige Wochen später forderte die EU-Kommission einen Verhaltenskodex der großen Online-Unternehmen. Warum die EU keine Gesetze erlässt? Das Verfahren würde viel zu lange dauern, hieß es. Deshalb bleibt Europa an dieser Stelle wohl auf den guten Willen der Netzriesen angewiesen.

WETTBEWERB:

Eine, die bislang kaum vor großen Konzernen und politischen Befindlichkeiten Scheu zeigte, ist EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager. Apple, Google, Ikea - die Liste der von ihr ins Visier genommenen Großkonzerne ist lang.

Wegen irreführender Angaben bei der Übernahme des Dienstes WhatsApp verdonnerte sie den US-Konzern im vergangenen Jahr zu einer Strafe von 110 Millionen Euro. Dabei ging es um die Bündelung von Nutzerdaten zwischen dem sozialen Netzwerk Facebook und WhatsApp. Facebook hatte 2014 erklärt, nicht zum zuverlässigen automatischen Datenabgleich zwischen den Benutzerkonten beider Dienste imstande zu sein. Im August 2016 folgte jedoch genau dies: Telefonnummern der WhatsApp-Nutzer konnten mit den jeweiligen Facebook-Profilen verknüpft werden. Es ist nicht auszuschließen, dass Vestager noch weitere Pfeile im Köcher hat.

Angesichts der neuen EU-Regeln formulierte Facebook kürzlich seine Datenschutz- und Nutzungsbedingungen um. Klarer und transparenter sollten sie fortan sein, betonte das Netzwerk - und schrieb gleichzeitig die Grundlage für die geplante Einführung von Gesichtserkennungs-Funktionen in Europa rein. Hier waren sie nach Widerstand von Datenschützern bislang nicht verfügbar.

Nicht mehr verfügbar für den europäischen Rechtsrahmen sind künftig auch die Daten 1,5 Milliarden nicht-europäischer Nutzer. Bisher war ein Facebook-Ableger in Irland für das gesamte Geschäft außerhalb der USA zuständig. Jetzt sollen nur noch die zuletzt 370 Millionen Nutzer in Europa dort angesiedelt sein. Die Daten der restlichen Nutzer weltweit werden künftig in den USA gespeichert. Facebook betont, dies ändere nichts daran, dass neuen EU-Datenschutz-Werkzeuge künftig weltweit verfügbar sein werden.

Eine Einladung zur Anhörung im EU-Parlament schlug Zuckerberg zunächst jedoch aus und wollte einen seiner Politik-Verantwortlichen vorschicken. Parlamentspräsident Antonio Tajani insistierte: Es sei dringend notwendig, über die Rolle von Cambridge Analytica im Brexit-Referendum sowie bei anderen Wahlen in EU-Staaten aufzuklären.

Nach wochenlangem Hin- und Her sollte Zuckerberg an diesem Dienstag nun doch persönlich erscheinen und die Fraktionsspitzen im Europaparlament treffen. Das Gespräch war zunächst hinter verschlossenen Türen geplant. Auf Druck vor allem der Grünen soll es nun aber auch im Internet übertragen werden.

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