NSA knackt Verschlüsselungen Zugang zu Geheimdaten ab Werk

WASHINGTON · NSA soll Hersteller gezwungen haben, Sicherheitslücken in Hard- und Software einzubauen. Als Ladar Levison vor kurzem seinen "Abschiedsbrief" aus dem Geschäft mit verschlüsselten E-Mails schrieb, hörten fast nur Insider hin. Der Chef des US-Internetdienstes Lavabit machte im Gefolge der ersten großen Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden seinen Laden dicht.

Weil er nach eigenen Worten "Privatsphäre, Flexibilität und Zuverlässigkeit" nicht mehr gewährleisten konnte und sich nicht "an einem Verbrechen gegen das amerikanische Volk mitschuldig machen wollte". Mehr noch. Der Texaner Levison warnte die weltweite Internetgemeinde davor, "private Daten weiter Firmen anzuvertrauen, die technisch mit den Vereinigten Staaten von Amerika verbunden sind". Heißt: Facebook, Google, Microsoft, Yahoo uns so weiter. Seit gestern weiß man warum.

Der US-Auslandsgeheimdienst NSA hat nach übereinstimmenden Berichten von "New York Times", dem britischen "Guardian" und dem Online-Portal "ProPublica", die sich wiederum auf Unterlagen von Edward Snowden berufen, einen großen Teil der auf dem Markt zu kaufenden Verschlüsselungssysteme geknackt, wie sie heutzutage etwa für Bankgeschäfte im Internet üblich sind.

Unter dem Code-Wort "Bullrun" hat die NSA demnach eine riesiges Programm aufgelegt, das mit allerlei technischen Tricks und der staatlichen Allgewalt dafür sorgt, "dass nichts geheim bleibt, was geheim bleiben soll". Allein in diesem Jahr hat die NSA für das Unterlaufen, Sabotieren und Konfigurieren von Verschlüsselungstechniken knapp 250 Millionen Dollar ausgegeben. Über das Projekt, so Snowden in seinen Unterlagen, wüssten nur die wichtigsten Partnerländer England, Kanada, Australien und Neuseeland Bescheid. Die britische NSA, der Geheimdienst GCHQ, ist der bevorzugte Partner.

Die Durchdringung der Geheimdienstler geht so tief, dass herkömmliche Verschlüsselungsverfahren nicht nur über sogenannte Super-Computer angegriffen werden. Große Hersteller von Soft- und Hardware, die namentlich in den Artikeln nicht genannt werden, seien quasi gezwungen worden, Hintertüren und verdeckte Sicherheitslücken in ihre Produkte für den Kunden einzubauen. Die NSA erhalte so "Zugang zu privat geschützten Daten ab Werk", spotteten Blogger in Washington.

Wie Snowden in seinen Dokumenten nachweist, zielen die von General Keith Alexander geführten NSA-Schnüffler bei ihrem Ziel, das Internet allumfassend in Echtzeit kontrollieren zu wollen, auch auf die Eckpfeiler der Sicherheitsarchitektur im Netz. Die Technologie "Transport Layer Security" (TLS), teilweise noch unter der Vorgängerbezeichnung SSL (Secure Sockets Layer) gebräuchlich, wird im Internet bei dem Übertragungsverfahren HTTPS eingesetzt - erkennbar am kleinen Vorhängeschloss.

Ob das damit verbundene Signal, auf einer sicheren Leitung Daten zu übertragen, noch ernst genommen werden kann, wird durch die jüngsten Enthüllungen von Experten wie Bruce Schneider "stark bezweifelt". Gleichwohl rät der Fachmann dazu, bis auf weiteres auf Verschlüsselung zu setzen. Begründung: Das Knacken solcher Codes koste sehr viel Zeit und erschwere so die Arbeit der Geheimdienste. Außerdem seien Systeme wie das bekannte PGP - "Pretty Good Privacy" (ziemlich gute Privatsphäre) bislang noch als verlässlich einzustufen.

Die "New York Times" berichtet: Als der Geheimdienst davon erfuhr, dass ein "ausländisches Spähziel" neue Computer-Hardware in den USA bestellt hatte, wurde der Hersteller "überredet", vor der Auslieferung der Ware eine geheime Hintertür einzubauen; alleinige Schlüsselgewalt: die NSA.

An der Richtigkeit der Angaben, die gestern einen Sturm der Entrüstung entfacht haben, besteht kaum Zweifel. "New York Times", "Guardian" und "ProPublica" wurden nach eigenen Angaben von Geheimdienststellen massiv bedrängt, auf Veröffentlichungen zu verzichten. Vor diesem Hintergrund mutet die Reaktion des Bundesinnenministeriums in Berlin von gestern erstaunlich an. Der Sprecher von Minister Friedrich hatte die auf Snowden zurückgehenden Angaben als "völlig unbewiesene Behauptungen" abgetan.

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