Klima im Parlament Zahl der Rügen im NRW-Landtag verachtfacht

Düsseldorf · Die Zahl der Rügen und Ordnungsrufe hat sich nach Angaben des Präsidiums im Vergleich zur letzten Legislaturperiode im Landtag verachtfacht. Besonders oft fiele die AfD auf.

 Landtagssitzung mit Ministerpräsident Armin Laschet (CDU): 42 Rügen für Abgeordnete in zwei Jahren.

Landtagssitzung mit Ministerpräsident Armin Laschet (CDU): 42 Rügen für Abgeordnete in zwei Jahren.

Foto: picture alliance/dpa

Das Klima im NRW-Landtag ist messbar aggressiver geworden. In den ersten zwei Jahren der aktuellen Legislaturperiode musste das Landtagspräsidium wegen persönlicher Anfeindungen und andere verbale Ausrutscher 42 Rügen und zwei Ordnungsrufe gegen NRW-Parlamentarier aussprechen, wie das Präsidium auf Anfrage unserer Redaktion mitteilt. Damit haben sich die entsprechenden Interventionen des Präsidiums im Vergleich zur vorausgegangenen Legislaturperiode von durchschnittlich 2,4 pro Jahr auf 21 pro Jahr mehr als verachtfacht. In der gesamten Legislaturperiode 2012 bis 2017 wurden insgesamt zwölf Rügen ausgesprochen, in der Legislatur davor waren es neun.

Die meisten Rügen (24) gingen auf das Konto der neu in den Landtag eingezogenen AfD. Neun kassierte die SPD und jeweils zwei erhielten Parlamentarier der CDU- und der Grünen-Fraktion. Der ehemalige Chef der AfD-Fraktion, der fraktionslose Marcus Pretzell wurde zwei Mal gerügt.

Präsidium sei keine "Sprachpolizei"

Auch Mitglieder der Landesregierung wurden schon mehrfach ermahnt. Auf die Minister Hendrik Wüst (CDU, Verkehr), Karl-Josef Laumann (CDU, Gesundheit) und Stephan Holthoff-Pförtner (CDU, Europaangelegenheiten) entfielen insgesamt drei Rügen. Landtagspräsident André Kuper sagte unserer Redaktion, es sei „erkennbar, dass im Landtag NRW der Ton rauer geworden ist“. Das Präsidium verstehe sich keineswegs als „Sprachpolizei“. Aber Kuper betont: „Menschenverachtende, diskriminierende und demokratiefeindliche Äußerungen werden nicht geduldet. Dieser Verrohung der Sprache muss entgegengewirkt werden.“

Als menschenverachtend gelten Tiervergleiche. Wüst kassierte eine Rüge, als der dem SPD-Abgeordneten Jochen Ott entgegenschleuderte: „Ich war was trinken, Du Vogel.“ Vielleicht ähnlich harmlos, aber trotzdem gerügt: Der AfD-Abgeordnete Martin Vincentz, der Abgeordnete der SPD als „Muppet-Show“ bezeichnete.

Auch die Verwendung von Fäkalsprache wird vom Präsidium gerügt. So, als Pretzell das Wort „Scheißvorstand“ ins Mikrofon sprach. Oder als Minister Holthoff-Pförtner sagte: „Wenn drei first sind, bescheißt einer zwei.“

Lügen-Vorwürfe von der AfD

Eine Spur härter waren die Äußerungen von Helmut Seifen (AfD), der den CDU-Fraktionschef Bodo Löttgen indirekt als möglichen Lügner darstellte („entweder haben Sie nicht gelesen oder Sie lügen“) sowie seines Fraktionskollegen Sven Tritschler, der eine unklare Gruppe von Ministern als „Versager“ bezeichnet hat. Einen besonders heftigen Fauxpas leistete sich der AfD-Abgeordnete Andreas Keith mit einem Zwischenruf bei einer Rede des Grünen-Abgeordneten Oliver Keymis: „Mit den ganzen Leuten, die die Kinderschändereien, die bei Ihnen oder bei Ihnen laufen.“ Dabei wies Keith in Richtung Grüne und SPD.

Alle Beispiele stammen aus Plenarsitzungen 2019. Der Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann macht für die gestiegene Temperatur vier Ursachen aus. „Zunächst den Einzug der AfD, die das Instrument der Provokation strategisch im Wahlkampf, in Medien und im Parlament nutzt“, so Alemann. Zweiter Faktor sei, dass andere Parteien sich dadurch provozieren ließen. Drittens habe die wachsende Verbreitung sozialer Netzwerke einen rüderen Umgangston etabliert. Und schließlich trügen auch Politiker wie US-Präsident Donald Trump dazu bei, dass die Hemmschwelle gesunken sei.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort