Religion Wie Muslime Weihnachten erleben

Bonn · Für die Mitarbeiterin des Essener Zentrums für Türkeistudien hat der geschmückte Weihnachtsbaum keine religiöse Bedeutung – für viele andere Muslime übrigens auch nicht. So verbringt man die Feiertage.

 Lichterglanz in Kinderaugen: Eine muslimische Familie beim Weihnachtsmarktbesuch in Stuttgart.

Lichterglanz in Kinderaugen: Eine muslimische Familie beim Weihnachtsmarktbesuch in Stuttgart.

Foto: Max Malsch

Kleine Karte, große Aufregung: „Egal woran Sie glauben ... wir wünschen Ihnen eine besinnliche Zeit und einen guten Start ins neue Jahr.“ Grußkarten mit dieser Aufschrift verschickte Annette Widmann-Mauz, Integrationsbeauftragte der Bundesregierung. Auf der Vorderseite der Karte ein Foto, auf dem CDU-Frau Widmann-Mauz zu sehen ist mit ihren Mitarbeiterinnen. Ein denkbar harmloser Weihnachtsgruß.

Und doch sah sich Regierungssprecher Steffen Seibert genötigt festzustellen, dass Widmann-Mauz „Weihnachten natürlich als die hohe christliche Feier, die es ist“ begehe. Und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet rügte die Parteifreundin: „Ich halte es für eine pure Selbstverständlichkeit, dass man, wenn Weihnachten ist, nicht zu Season's Greetings oder was auch immer gratulieren will, sondern ein gesegnetes Weihnachtsfest wünscht.“

Eben jene Worte fanden sich nicht auf der Karte. Und schon brach eine erregte Debatte um abendländische Traditionen und christliche Kultur los, um übertriebene politische Korrektheit und die angebliche Verwässerung deutscher Gebräuche angesichts vieler muslimischer Zuwanderer.

Viele Muslime in Deutschland können über diese Aufgeregtheit nur den Kopf schütteln. „Wahnsinn gerade, was hier abgeht“, twitterte NRW-Integrationsstaatssekretärin Serap Güler zu dem Streit. Sie geht die Festtage ganz entspannt an. „Ich fand die Weihnachtszeit schon immer sehr schön“, meint Güler.

Die CDU-Frau, in Marl geborene Tochter anatolischer Zuwanderer, nutzt die Feiertage wie so viele deutsche Familien: Als eine Zeit, in der sich Eltern und Kinder treffen, in der Angehörige und Freunde sich gegenseitig besuchen. „Wir nutzen die Zeit dazu, um mit der Familie zusammenzukommen“, erzählt Güler. Auf diese Weise würden auch viele muslimische Freunde die Feiertage verbringen. „Außerdem liebe ich Weihnachtsmärkte.“ Einen Weihnachtsbaum gibt es bei ihr nicht, „aber einen Adventskranz im Büro“.

Weihnachten ist kein muslimisches Fest, obwohl Jesus auch im Islam als Prophet verehrt wird (siehe Interview). Im islamischen Festkalender stehen das Fastenbrechen am Ende des Ramadan und das Opferfest an oberster Stelle. Aber die Weihnachtszeit ist für viele Muslime in Deutschland auch keine Zeit wie jede andere. „Es ist nicht so, dass die Muslime in Deutschland nichts mit Weihnachten zu tun haben wollen“, meint Gülay Kizilocak. Die gebürtige Istanbulerin, die zum BWL-Studium nach Deutschland kam, hat schon auf viele Arten Weihnachten gefeiert: Mit Kommilitonen an der Uni Bochum, mit deutschen Freunden, mit der eigenen Familie. „Ich habe einen Weihnachtsbaum zu Hause und liebe Weihnachtsmärkte und Glühwein“, sagt Kizilocak.

Für die Mitarbeiterin des Essener Zentrums für Türkeistudien hat der geschmückte Weihnachtsbaum keine religiöse Bedeutung – für viele andere Muslime übrigens auch nicht. Deshalb finden sich in der Weihnachtszeit auch auf den Basaren von Istanbul oder Teheran Schaufenster, die mit Weihnachtsbäumen oder Weihnachtsmännern geschmückt sind.

Zudem weist Kizilocak auf ein Wahrnehmungsproblem hin: „Anders als es die öffentliche Meinung nahelegt, sind viele Muslime in Deutschland nicht strenggläubig oder praktizieren ihre Religion nicht – ich übrigens auch nicht.“

Doch selbst wenn Muslime ihre Religion leben, heißt das nicht zwangsläufig, dass sie Weihnachten ignorieren. „Wir haben jedes Jahr Weihnachten gefeiert, wie meine Frau es gewohnt war“, erzählt Hossein Pur Khassalian. „Aber natürlich haben wir auch die islamischen Feste gefeiert“, berichtet der Bonner Urologe im Ruhestand. 1957 kam er aus dem Iran zum Medizinstudium an den Rhein, heiratete später eine deutsche Frau. Bei seinen Kindern sei ihm wichtig gewesen, dass sie „religiöse Menschen“ werden, so Pur Khassalian – ob Muslime oder Christen „wollten wir sie selbst entscheiden lassen“. Beide Söhne entschieden sich für das Christentum, „Taufen und Konfirmationen habe ich gerne mitgemacht“.

Eine der ersten Erfahrungen in Deutschland hatte mit Weihnachten zu tun, erinnert sich der gebürtige Teheraner. Die Uni vermittelte den jungen Studenten über die Festtage an eine Bergmannsfamilie aus Essen. Fünf Tage verbrachte Pur Khassalian bei seinen Gastgebern: „Die Herzlichkeit, die Gastfreundschaft beeindrucken mich bis heute“, erinnert er sich. „Mir gefallen die gegenseitigen Besuche von Nachbarn und Familie und natürlich die Friedensbotschaft, die von der Geburt Jesu ausgeht“, meint der 81-Jährige, der sich in muslimisch-christlichen Gesprächskreisen regelmäßig für die Verständigung der Religionen einsetzt.

Wenn Zlata Mulasalihovic an ihr erstes Weihnachten in Deutschland zurückdenkt, kommt ihr Gebäck in den Sinn. „Es gab Plätzchen“, erinnert sie sich, „das war wie im Märchen.“ 1995 musste die Muslimin mit ihrem Mann und zwei Kindern vor dem Bürgerkrieg in Bosnien fliehen – und fand im Mütterheim der katholischen Gemeinde im oberbergischen Wipperfürth eine Bleibe: „Es war mein erster Kontakt mit Weihnachten.“ Die Gemeinde sorgte für die Geschenke. „Die Kinder haben sich so gefreut.“ 1998 kehrte die Familie nach Bosnien zurück, heute wohnen die Mulasalihovics in Tuzla – und Weihnachten ist zu einer lieben Tradition geworden: „Wir bringen unseren katholischen Nachbarn Geschenke, und sie geben uns Weihnachtsteller mit – mit Plätzchen.“

Auch Rahim Öztürker sieht nicht ein, dass Weihnachten zwischen Christen und Muslimen für Zwist sorgen sollte. „Es ist ein wunderschönes Fest und eine bedeutsame, gute Tradition“, meint der Vorsitzende des Integrationsrates der Stadt Bonn. Öztürker, 1973 aus dem osttürkischen Tunceli nach Bonn gekommen, wünscht sich mehr gegenseitiges Verständnis von Christen und Muslimen. „Die Religion soll doch die Menschen zusammenbringen“, sagt er. Für Öztürker ist zum Beispiel selbstverständlich, dass muslimische Kinder in der Kita auf Martinszügen mitlaufen und Martinslieder mitsingen. „Wer sich Respekt für die eigene Kultur wünscht, muss auch die andere respektieren“, ist Öztürkers Grundsatz.

Und natürlich ist auch für gläubige Muslime „Weihnachten“ kein verpönter Begriff. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland jedenfalls versendet gleichfalls Festtagsgrüße. Anders als die Integrationsbeauftragte Widmann-Mauz hat die Organisation jedoch kein Problem damit, den Empfängern ihrer Karten ausdrücklich „ein frohes und besinnliches Weihnachtsfest“ zu wünschen.

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