Kommentar zu den Motiven des türkischen Präsidenten Was für Erdogan zählt

Meinung | Istanbul · Die Reaktion Europas auf die Abkehr vom Rechtsstaat ist Erdogan egal. Er ist sicher, dass die Europäer sein Land mehr brauchen als umgekehrt.

 Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wirbt mit zweifelhaften Methoden um rechtskonservative Wählerstimmen.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wirbt mit zweifelhaften Methoden um rechtskonservative Wählerstimmen.

Foto: picture alliance / dpa

Nicht zum ersten Mal schickt sich Recep Tayyip Erdogan aus innenpolitischen Motiven heraus an, EU-Normen über Bord zu werfen. Vor der Aufnahme der EU-Beitrittsgespräche seines Landes im vergangenen Jahrzehnt brachte Erdogan die Idee ins Spiel, Ehebruch unter Strafe zu stellen. Er warb damit um die Unterstützung konservativer Kreise, ließ das Vorhaben aber bald wieder in der Schublade verschwinden. Derzeit redet Erdogan von der Wiedereinführung der Todesstrafe. Auch diesmal geht es ihm um die Stimmen rechtskonservativer Türken – doch die Folgen des Manövers dürften weitreichender sein.

Mit der Rückkehr zur Todesstrafe riskiert Erdogan den Rauswurf seines Landes aus dem Europarat und den Abbruch der EU-Beitrittsgespräche. Ähnliches gilt für die Festnahmen bei der Oppositionszeitung „Cumhuriyet“. In einer normalen Demokratie würde ein solches Vorgehen der Behörden selbst zu einem Fall für die Justiz. In Erdogans Türkei findet sich bestimmt ein Richter, der den Journalisten wegen Terrorvergehen den Prozess macht.

Die Reaktion Europas auf die Abkehr vom Rechtsstaat ist Erdogan egal. Er ist sicher, dass die Europäer sein Land mehr brauchen als umgekehrt.

Es ist möglich, dass Erdogan die Todesstrafendebatte instrumentalisieren will, ohne das Projekt zu verwirklichen. Auch ist theoretisch denkbar, dass die Justiz die Vorwürfe gegen „Cumhuriyet“ fallen lässt. Doch es könnte zu spät sein, um in Europa noch jemanden zu überzeugen. Die Diskussion über einen EU-Beitritt des Landes hat sich erst einmal erledigt.

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