Deep Learning Warum Maschinen schneller lernen als der Mensch

Bonn · Computer lernen dank einer Methode namens Deep Learning in bestimmten Bereichen deutlich schneller als der Mensch. Google hat es vorgemacht: Ein Programm besiegte die besten Profispieler im Brettspiel Go. Einige Konzerne nutzen diese Fähigkeiten bereits.

Zwei Kriegsherren, der Kampf um Territorien, schwarz und weiß: Das chinesische Brettspiel Go fasziniert die Menschen schon lange - die ersten archäologischen Funde stammen aus der Zeit kurz nach Christus. Damit gehört Go mit Backgammon und Mühle zu den ältesten Strategiespielen der Welt. Die Menschen hatten reichlich Zeit, wahre Meisterschaft in diesem Tête-à-Tête zu erlangen. Doch sie wurden besiegt – von etwas Neuem, einer Künstlichen Intelligenz und deren Fähigkeit, eigenständig zu lernen - durch Deep Learning.

Oktober 2015: Der Profispieler und mehrfache Europameister Fan Hui stellt sich dem Programm Alpha Go – und wird vernichtend geschlagen. 0:5 lautet das Ergebnis. Gegen die Künstliche Intelligenz wirkt der Profi wie ein naiver Go-Frischling. Wie muss sich Hui nach dieser Niederlage wohl gefühlt haben? Er ist in China geboren, ausgerechnet in jenem Land, in dem das Spiel erfunden wurde. „Alpha Go wirkt wie eine Mauer, es ist extrem stark“, erklärte Hui dem Wissenschaftsmagazin „Nature“, um hinzuzufügen: „Ich weiß, dass Alpha Go ein Computer ist, aber wenn mir niemand etwas gesagt hätte, würde ich denken, dass der Spieler zwar ein bisschen seltsam war, aber eine echte Person.“

Alpha Go ist Entwicklungssprung

Alpha Go ist ein Programm, das von Google DeepMind entwickelt wurde und das ausschließlich Go spielt. Es ist das erste Programm, das einen professionellen Spieler unter Turnierbedingungen besiegt hat. Ein Zufall? Keinesfalls. Alpha Go markiert einen enormen Entwicklungssprung gegenüber früheren Programmen. In 500 Spielen gegen andere Systeme gewann Alpha Go alle bis auf eines.

Wie ist das möglich? Wie kann eine Maschine so viel besser sein als der Mensch? Und wie kann eine Maschine so viel besser sein als andere Maschinen? Die Antwort: Alpha Go kombiniert die besten Eigenschaften des menschlichen Gehirns mit denen konventionellen maschinellen Lernens. Alpha Go ist eine Maschine mit Hirn. Dahinter steckt ein System: das sogenannte Deep Learning.

Sven Behnke, Professor für Informatik und Leiter der Arbeitsgruppe Autonome Intelligente Systeme an der Universität Bonn, beschäftigt sich seit 1997 mit diesem Forschungsgebiet. In den Worten des Wissenschaftlers klingt das erst einmal relativ kompliziert: „Deep Learning bezeichnet einen Bereich des maschinellen Lernens, bei dem mehrschichtige Repräsentationen von Daten erlernt werden“, erklärt Behnke.

Deep Learning braucht viele Daten

Im Fall von Alpha Go haben Wissenschaftler dem Programm Spielzüge besonders starker Go-Spieler gezeigt. Auf diese Weise lernte das System dazu, adaptierte die von Menschen entwickelten Strategien und nahm anschließend sogar Verbesserungen vor. Nach sehr kurzer Zeit wurde Alpha Go erfolgreicher als seine menschlichen Gegner. Das klingt nach einer enormen Effizienzsteigerung, ist aber aufwendig: „Damit Deep Learning so erfolgreich sein kann, werden große Datenmengen benötigt. Das Lernen aus wenigen Beispielen ist noch eine Herausforderung“, sagt Behnke.

Doch auch hier gibt es mittlerweile Fortschritte: Im Oktober 2017 besiegte das ebenfalls von Google entwickelte Alpha Go Zero in internen Tests seine Vorgängerversion. Das Revolutionäre: Alpha Go Zero hat sich das Spiel innerhalb von nur drei Tagen selbst beigebracht, ohne dass es mit existierenden Spielzügen und Techniken gefüttert wurde wie vorherige Künstliche Intelligenzen. Lediglich die Spielregeln wurden vorgegeben – sämtliche Strategien und Züge erlernte Alpha Go Zero, indem es millionenfach gegen sich selbst spielte.

Mensch denkt intuitiver als Maschine

Diese Erkenntnis wirft zugleich Fragen auf: Sind Maschinen etwa die besseren Menschen? Wenn Computer schneller lernen als wir, sind die Fähigkeiten des menschlichen Gehirns dann nicht längst überflüssig geworden? Nein, sagt Professor Behnke: „Vergleiche mit den Leistungen des menschlichen Gehirns hinken meiner Meinung nach.“ Technische Systeme könnten einige Aufgaben zwar schneller lösen, was sie in einzelnen Domänen leistungsstärker mache als den Menschen. „Sie sind aber bis jetzt nicht so flexibel wie das menschliche Gehirn und können sich auf neue Situationen nicht so schnell einstellen“, sagt Behnke.

In dieselbe Kerbe schlägt Moritz Helmstaedter, Direktor am Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt. Deep Learning sei ineffizient und verbrauche darüber hinaus eine große Menge Energie und Ressourcen. „Warum sollte ich auf 50 Jahre alte Methoden maschinellen Lernens zurückgreifen, wenn sich in unseren Köpfen dank der Evolution doch die leistungsstärksten Rechner befinden?“, fragt sich Helmstaedter. Das Sammeln von Daten sei teuer. Server-Farmen von Google bräuchten Strom in der Größenordnung eines Atomkraftwerks und zum Lernen Millionen von Datensätzen.

Alpha Go Zero sei ein Schritt in die richtige Richtung, weil kaum noch Daten benötigt würden. „Das Energieproblem ist damit aber noch nicht gelöst“, sagt Helmstaedter. „Wir müssen verstehen, wie unsere Gehirne arbeiten.“ Sein Team verfüge über neue dreidimensional arbeitende Elektronenmikroskope, die extrem dünne Hirnschnitte scannen. Auf diese Weise könne die komplizierte Mikroanatomie des menschlichen Gehirns dargestellt werden. Helmstaedter hofft, so mehr über die Netzwerke der Nervenzellen zu verstehen und diese Prinzipien auf Computer übertragen zu können. „Damit würden wir ein völlig neues Kapitel der Künstlichen Intelligenz aufschlagen.“

Nachbau des Gehirns ist schwierig

Es sei aber leider nicht so leicht, die Funktionsweisen des Gehirns auf Computer zu übertragen. Das menschliche Gehirn arbeite hochparallel. „Um dorthin zu kommen, müssten wir vermutlich seine dreidimensionale Architektur physisch nachbauen, also die 1000 Kontakte, die jede einzelne Nervenzelle in der Hirnrinde mit anderen Nervenzellen besitzt“, erklärt Helmstaedter. Dazu bräuchten wir neue dreidimensionale Hardware. „Ich denke aber, dass es nicht unrealistisch ist, dass wir dieses Feld innerhalb der nächsten zehn Jahre deutlich voranbringen können.“

Doch bereits mit Deep Learning geht eine Vereinfachung für den Menschen einher. Die Lernmethode kommt heute schon in verschiedenen Bereichen zum Einsatz – etwa in der Gesichtserkennung und beim autonomen Fahren. Auch in der Uni Bonn wird daran geforscht. „Wir arbeiten beispielsweise an einem Roboter, der in der Lage ist, gezielt Objekte aus einer Kiste zu greifen. Das ist vor allem für große Firmen in der Warenlogistik wie Amazon interessant“, so Behnke.

Ein weiteres Beispiel: Es gibt ein Projekt an der Stanford University, bei dem Bilder gesammelt wurden, auf denen Veränderungen der Haut festgehalten sind. Maschinen können diese Bilder in gefährliche und harmlose Veränderungen unterteilen. In Zukunft könnten Computer Diagnosen auf diese Weise sicherer gestalten. Auch Sprachassistenten profitieren vom Deep Learning. In Zukunft ist denkbar, dass Kunden von Unternehmen zum Beispiel bei telefonischen Serviceanfragen nur noch mit Computern sprechen.

Roten Knopf zur Sicherheit einbauen

Das könnte beim einen oder anderen Ängste auslösen und bange Fragen aufwerfen: Werden die Maschinen künftig die Kontrolle übernehmen? „Wenn der Lernprozess einmal gestartet wurde, ist es für die Menschen kaum noch nachzuvollziehen, nach welchem Muster die Maschinen arbeiten“, sagt Behnke. Dabei könnten auch Sprachen entstehen, die wir nicht mehr verstehen. Künstliche Systeme seien uns in vielen Dingen bereits haushoch überlegen. Behnke rät deshalb dazu, die Folgen im Zusammenhang mit Deep Learning sorgsam abzuwägen und nichts dem Zufall zu überlassen: „Zur Sicherheit sollten wir immer einen roten Knopf einbauen.“

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