Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich in den USA Warten auf Rauchzeichen des großen Bruders

BERLIN · Ein erster Schritt. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger. Die beiden Ministerien des Inneren und der Justiz, sonst seit dreieinhalb Jahren in Sachen Vorratsdatenspeicherung über Kreuz, sind sich in diesem Fall erstaunlich einig. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte schon tags zuvor durchblicken lassen, dass der Washington-Besuch von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) wegen der Ausspähattacken des Geheimdienstes NSA nur der Beginn eines Aufklärungsprozesses sein könne. Jetzt wartet die Regierung in Berlin auf etwas, was Geheimdienstler gerne mit dem Begriff der "Deklassifizierung" umschreiben. Gemeint ist damit die Freigabe bislang als geheim eingestufter Dokumente.

 Eine klare Meinung zur Rolle Snowdens hat diese Demonstrantin, die vor dem US-Generalkonsulat in Hamburg gegen die weltweite Spähaktion der US-Amerikaner protestierte.

Eine klare Meinung zur Rolle Snowdens hat diese Demonstrantin, die vor dem US-Generalkonsulat in Hamburg gegen die weltweite Spähaktion der US-Amerikaner protestierte.

Foto: dpa

Erstaunt bis verängstigt könnte dann auch die deutsche Öffentlichkeit reagieren, wenn die Schlapphüte der National Security Agency (NSA) Unterlagen über Pläne Terrorverdächtiger für Attentate auch in Deutschland freigeben. Denn: Von weltweit 45 geplanten Anschlägen, die durch die Lauschattacken der NSA verhindert worden sind, wie Friedrich betonte, sollten 25 Europa treffen, fünf davon Deutschland. Somit hätte jeder neunte geplante Anschlag einem Ziel in Deutschland gegolten. Zwei der fünf Fälle sind bekannt. Einmal die 2007 festgenommene "Sauerland"-Gruppe sowie die 2011 gleichfalls in ihren Anschlagsplänen gestörte "Düsseldorfer Zelle". Beide gelten als Ableger des Terrornetzwerkes Al Kaida. Nur wann und wo Terrorverdächtige die drei anderen Anschläge in Deutschland geplant haben sollen, dies weiß nach Darstellung des Ministeriums bislang noch nicht einmal Minister Friedrich. Auch er muss demnach warten, bis die Amerikaner ihre Erkenntnisse für eine bessere Einschätzung in Berlin offenlegen.

Bislang wollen die Regierenden in Berlin, die wegen des massenhaften Abschöpfens von Kommunikationsdaten deutscher Internetnutzer durch die NSA erkennbar unter Druck geraten sind, an den guten Willen der US-Partner glauben. Aus dem Bundesinnenministerium heißt es, es gebe bislang keine Erkenntnisse, dass US-Nachrichtendienste flächendeckend und ohne Verdacht den Inhalt abgefangener Telefonate oder Emails gespeichert hätten. Flächendeckend gespeichert habe die NSA allerdings die Verbindungsdaten, die sogenannten "Meta"-Daten, die verraten, wer wann mit wem kommuniziert hat. Um wiederum auf den Inhalt zuzugreifen, bräuchten die Geheimdienstler aber im konkreten Fall den Beschluss eines Richters. Merkel hatte betont, sie habe keine Erkenntnisse, selbst abgehört worden zu sein. Aber bitte, sie erwarte eine "klare Zusage" der USA, sich auf deutschem Boden auch an deutsches Recht zu halten.

Unterdessen fordert die Opposition im Bundestag einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss, um das wahre Ausmaß der NSA-Schnüffelei sowie ein mögliches Mitwissen deutscher Stellen zu beleuchten. Nach Informationen der "Bild"-Zeitung wusste der deutsche Auslandsgeheimdienst BND "seit Langem", dass die NSA auch Daten deutscher Staatsbürger erfasst. Auch zum eigenen Nutzen: So soll der BND bei Entführungen von Deutschen im Ausland aktiv auf Telefon- und Email-Verbindungsdaten der Entführten, die die NSA gespeichert hatte, zugegriffen haben. Demnach hat der BND mehrfach US-Dienste um Amtshilfe gebeten. Regierungssprecher Steffen Seibert wollte zu "operativen Details" nichts sagen.

Linke-Vorsitzende Katja Kipping fordert nun, "die gesamte deutsch-amerikanische Schnüfflerkooperation seit der Jahrtausendwende" in einem Untersuchungsausschuss aufzuarbeiten. Auch Grünen-Sicherheitspolitiker Omid Nouripour verlangt ein Untersuchungsgremium zur NSA-Spähaffäre - im nächsten Bundestag. Die SPD wiederum hält sich bedeckt. Sie hatte zu rot-grünen Regierungszeiten im Kanzleramt selbst die Verantwortung für die Kontrolle über die Geheimdienste.

Bereits heute soll Innenminister Friedrich im geheim tagenden Parlamentarischen Kontrollgremium, das die Geheimdienste in Deutschland überwachen soll, über seine Gespräche in Washington berichten. Morgen kommt der Bundestags-Innenausschuss trotz parlamentarischer Sommerpause zu einer Sondersitzung zusammen, wo Friedrich gleichfalls Rede und Antwort stehen soll. Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele wiederum fordert gar den Auftritt Merkels im Parlamentarischen Kontrollgremium. Die Kanzlerin "selbst muss Verantwortung für das Versagen ihres Kanzleramtes bei der Wahrung der Bürgerrechte übernehmen", so Ströbele.

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