Weltfrauentag Von Chancengleichheit sind Frauen weit entfernt

Bonn · Seit 1921 wird jährlich am 8. März der internationale Frauentag begangen. Der Kampf um das Wahlrecht, der anfangs im Zentrum stand, ist heute kein Thema mehr. Aber bei der Gleichberechtigung ist noch einiges zu tun.

In Artikel 3 des Grundgesetzes heißt es: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Doch es steht noch mehr dort: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Der Staat ist also sogar verpflichtet, für mehr Gleichheit zwischen den Geschlechtern zu sorgen. Doch auch 70 Jahre nach Einführung des Grundgesetzes gibt es da noch eine Menge zu tun. Hier ist eine Auswahl der Defizite:

Geringeres Gehalt: Frauen verdienen gemessen am Brutto-Stundenlohn im Schnitt 21 Prozent weniger als Männer, wie das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft errechnet hat. Damit liegt Deutschland in der EU an vorletzter Stelle. Werden die höhere Teilzeitquote der Frauen, geringere Berufserfahrung (meist wegen Kinderpausen) und die Berufswahl herausgerechnet, liegt der Unterschied noch bei 5,8 Prozent.

Viele Frauen arbeiten in Teilzeit

Dabei ist zu beachten, dass es vor allem Frauen sind, die Teilzeit arbeiten, unter anderem, weil sie keine zuverlässige Kinderbetreuung vorfinden. Zudem wird in Branchen, in denen überwiegend Frauen arbeiten, unterdurchschnittlich bezahlt. Und auch die kürzere Berufserfahrung ist häufig auf Kinderbetreuungszeiten zurückzuführen und die daraus folgenden Unterbrechungen der Erwerbsbiografie. Dass Deutschland bei der bereinigten Gehaltslücke deutlich über dem EU-Schnitt liegt und bei der unbereinigten deutlich darunter, zeigt also vor allem: Die viel hartnäckigere strukturelle, also tief in der Gesellschaft verwurzelte Ungleichheit, ist hier größer als in den meisten anderen EU-Staaten.

Höheres Armutsrisiko: Das Risiko zu verarmen ist für Frauen in den vergangenen Jahren laut gewerkschaftsnahem Wirtschaftsinstitut WSI stärker gestiegen als für Männer. Eine Ursache: Zwei Drittel der ausschließlich geringfügig Beschäftigten sind laut Nationaler Armutskonferenz Frauen. Besonders bedroht sind alleinerziehende Mütter, die oft aufgrund fehlender Kinderbetreuung dem Arbeitsmarkt nur eingeschränkt zur Verfügung stehen können. Die Änderung des Unterhaltsgesetzes vor einigen Jahren führte überdies dazu, dass der besser verdienende, meist männliche Elternteil nach einer Scheidung für die Mutter seiner Kinder nur noch eingeschränkt unterhaltspflichtig ist.

Mehr unentgeltliche Arbeit: Frauen verrichten laut Gleichstellungsbericht der Bundesregierung jeden Tag 87 Minuten mehr unentgeltliche Arbeit wie Putzen, Kochen, Einkaufen etc. als Männer. Das größte Missverhältnis zwischen den Geschlechtern zeigt sich im Alter von 34 Jahren: Frauen leisten dann am Tag durchschnittlich 5 Stunden und 18 Minuten, Männer dagegen nur 2 Stunden und 31 Minuten.

Niedrigere Renten: Die oben genannten Faktoren führen dazu, dass Frauen gesetzliche Renten beziehen, die laut WSI beinahe nur halb so hoch sind wie die der Männer: 631 Euro versus 1154 Euro im Monat.

Schlechtere Karrierechancen: Obwohl 27 Prozent der 30- bis 39-jährigen Frauen einen Hochschulabschluss haben (Männer: 25 Prozent), kommen in den Chefetagen deutlich weniger an. Gerade einmal sieben Prozent der Vorstände in den 100 größten deutschen Unternehmen waren der Wirtschaftsberatung Boston Consulting Group zufolge 2018 weiblich. Im Vergleich zum Vorjahr ist den Studienergebnissen zufolge der Frauenanteil in Vorständen nur um einen Prozentpunkt gestiegen. Bei dieser Geschwindigkeit würde es noch etwa 40 Jahre dauern, bis Spitzenpositionen zu gleichen Teilen mit Frauen und Männern besetzt sind.

Politische Repräsentanz: Knapp 31 Prozent der Abgeordneten im Bundestag sind Frauen, bei einem Bevölkerungsanteil von 51 Prozent. Auf Landes- und Kommunalebene ist der Anteil noch geringer. „Eine höhere Repräsentanz von Frauen trägt dazu bei, dass ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen in Entscheidungsprozessen höhere Berücksichtigung finden“, schreibt dazu die Landeszentrale für Politische Bildung in Rheinland-Pfalz. Höhere Repräsentanz ist also der Schlüssel zu mehr Gleichberechtigung.

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