VW-Manager Oliver Schmidt Volkswagens Sündenbock in den USA gesteht

Detroit · Der VW-Manager Oliver Schmidt hat sich in der Dieselaffäre vor einem US-Gericht schuldig bekannt. Nun droht ihm eine hohe Strafe – außer er sagt umfassend aus.

Sechs Monate Haft können einen Menschen verändern. Der Mann, der am Freitagmorgen im Bundesgericht von De-troit in Fußfesseln und roter Häftlingskleidung Platz nahm, hat nichts mehr gemein mit dem selbstbewussten Techniker, der auf Symposien und in Internetforen für den deutschen Autoriesen Volkswagen in Amerika jahrelang die Fahne hochhielt. Oliver Schmidt ist blass und kleinlaut geworden, seit das FBI ihn im Januar in Florida festnahm und ein Richter ihn in Untersuchungshaft geschickt hat – als Mitwisser und Schlüsselfigur im Betrugsskandal um Dieselabgase, der den Wolfsburger Konzern allein in den USA bereits über 23 Milliarden Dollar gekostet hat.

Elf Anklagepunkte, die sich bei Verurteilung theoretisch auf 169 Jahre Haft hätten summieren können, wurden dem 48-Jährigen aus dem niedersächsischen Stadthagen zunächst vorgehalten. Trotz der bedrohlichen Lage hielt Oliver Schmidt lange dicht. Selbst als sein Antrag auf Freilassung auf Kaution wegen Fluchtgefahr abgeschmettert wurde, mochte er sein Wissen nicht offenbaren.

Dabei war die Haft eine Tortur für ihn. Medikamente, Lesebrille, es fehlte zunächst an allen Ecken und Ende. Hafterleichterungen? Nur gegen Information. Aber Schmidt mauerte. Seine Anwälte beschrieben ihn als kleinen Fisch, der von Vorgesetzten getäuscht worden sei.

Diese Geschichte ist überholt. Oliver Schmidt hat sich im Beisein von drei Anwälten offiziell in zwei Punkten schuldig bekannt. Er war aktiver Teil einer „Verschwörung zum Betrug“ zulasten der USA. Und er hat fortgesetzt gegen US-Umweltgesetze verstoßen. Ob das so stimme, fragte Richter Sean Cox mehrfach. „Ja, euer Ehren“, sagte Schmidt mit fester Stimme, „ich bin schuldig.“ Seine Hände dabei wie zum Gebet gefaltet. Nach 40 Minuten ist alles vorbei. Am 6. Dezember, Nikolaustag, soll Schmidt sein Urteil erfahren.

In seiner Amerika-Liebe, sagen Mitarbeiter in der VW-Amerika-Zentrale in Herndon bei Washington, ließ sich Oliver Schmidt „kaum überbieten“. Von seinem ersten Gehalt bei VW finanzierte er einen Urlaub in den Staaten. In Florida heiratete er seine Frau in einem VW-Autohaus. Gemeinsam besitzt das Paar in den USA Ferienwohnungen.

In Amerika hatte Oliver Schmidt es durch VW und für VW zu etwas gebracht. Nach einer Erkundungsmission 2004, in der Schmidt für die Wolfsburger den US-Markt untersuchte, stieg der kahlköpfige Autofreak 2012 in Auburn Hills nahe Detroit zum Chef des Umwelt- und Technologiebüros von VW auf. Jene Einheit von Experten, die im engen Kontakt mit den US-Umweltbehörden für all das zuständig war, was bei VW-Modellen aus dem Auspuff kommt. „Clean Diesel“ zum Beispiel. Der Diesel, der so sauber doch nicht war.

Erst im Frühjahr 2015, sechs Monate, bevor der Dieselskandal ans Licht der Öffentlichkeit kam, wechselte er zurück nach Wolfsburg und wurde Mitarbeiter des damaligen Entwicklungschefs Heinz-Jakob Neusser. Dass Schmidt Ende 2016, als die halbe Welt schon über den Dieselskandal sprach, trotzdem in die USA reiste und sich den Fahndern in Miami quasi auf dem Silbertablett servierte, können manche Kollegen bis heute nicht verstehen.

„Diese Unvorsichtigkeit passte nicht zu ihm“, sagt jemand, der Schmidt kennt. Dachte der Manager wirklich, er könne unbehelligt bleiben? Die Delikte, für die sich Schmidt schuldig bekannt hat, können im Maximalfall mit einer Haftstrafe von sieben Jahren und/oder einer Geldbuße von 500.000 Dollar belegt werden. Außerdem darf er nach Verbüßung voraussichtlich nie wieder US- Boden betreten.

Insider rechnen mit einer milderen Strafe, falls der Maschinenbau-Ingenieur auspackt und Beweise dafür liefert, was seit Langem in den USA vermutet wird: dass die Spitze des VW-Konzerns bis hin zum früheren Oberboss Martin Winterkorn früh und im Detail über die Dieselprobleme in Amerika im Bilde war und sie schlicht verdrängt hat. Wird Schmidt kooperieren? Dazu fiel gestern kein Wort.

Laut Anklage gab Schmidt bereits im Frühjahr 2014 gegenüber Kollegen verklausuliert sein Wissen über den Betrug preis: „Es soll erst mal entschieden werden, ob wir ehrlich werden“, heißt es da in einer E-Mail in Bezug auf die Studie der Umweltorganisation ICCT, die alles ins Rollen brachte: Bei einem VW-Diesel waren auf der Straße Stickoxidwerte gemessen worden, die um das 35-fache das Ergebnis auf dem Labor-Prüfstand überstiegen. Warum? Weil VW eine illegale Motorsoftware eingebaut hatte, die das wahre Ausmaß der Emissionen verschleiert.

Später rechnete Schmidt Vorgesetzten in den USA vor, was das Ganze kosten könnte, wenn es auffliegt – circa 23 Milliarden Dollar. Eine Summe, die ziemlich nahe an dem Betrag liegt, den der Konzern bis heute in Amerika in Vergleichen für die Schadensbewältigung berappen musste.

Im Juli 2015, über ein Jahr, bevor die Affäre platzte, zogen Schmidt und Kollegen laut Anklage gegenüber der Spitze in Wolfsburg blank, erläuterten exakt „Existenz, Zweck und Eigenschaften“ des sogenannten „defeat device“, der Abschalteinrichtung, die zwischen Labortest und Fahren im Realbetrieb zu unterscheiden weiß.

Über all das gab Schmidt in seinen regelmäßigen Kontakten mit der strengen kalifornischen Umweltbehörde Carb nichts preis, obwohl die Prüfer um den Vizechef Alberto Ayala das letzte Wort über die Zulassung von Automodellen im Golden State haben. „Immer wieder wurden wir vertröstet, hingehalten und regelrecht für dumm verkauft“, sagte ein Carb-Sprecher dieser Zeitung, als der Skandal im September 2015 aufgeflogen war. „Dass ausgerechnet ein deutscher Premium-Hersteller solche Mätzchen macht, hätten wir nie gedacht.“ Schmidt hat die Vorwürfe gestern mit eigenen Worten wiederholt und offiziell bestätigt.

Er ist der einzige VW-Mann, der zurzeit in den USA inhaftiert ist. Sieben weitere Angeklagte, darunter ehemalige „hohe Tiere“ wie Heinz-Jakob Neusser, Jens Hadler, Richard Dorenkamp, Bernd Gottweis und Jürgen Peter, sind ebenfalls im Visier der Amerikaner. Sie halten sich laut Justiz in Deutschland auf und können per Gesetz nicht an die US-Behörden überstellt werden.

Schmidts Kehrtwende kommt wenige Tage vor dem allerersten Urteil in den USA gegen einen VW-Vertreter, der tief in den Dieselbetrug verwickelt war. James Liang (63), bis Juni 2016 bei VW im kalifornischen Oxnard für die Einhaltung von Abgasvorschriften zuständig, hatte bereits vor Monaten gestanden, an der Entwicklung der betrügerischen Software beteiligt gewesen zu sein. Liang half den Ermittlern beim Schließen von Wissenslücken.

Sein Urteil soll am 25. August verkündet werden. Ebenfalls in Detroit. Oliver Schmidt wird genau auf das Strafmaß schauen. Es kann eine Richtgröße sein für das, was ihn erwartet. Mit Schmidts Schuldeingeständnis ist klar: Eine Strafe wird es geben. Das Recht, auf einen Freispruch zu prozessieren, hat der Amerika-Fan gestern ein für allemal verwirkt.

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