Kommentar zum Urteil im NSU-Prozess Vertrauen

Meinung · Ein historischer Prozess ist zu Ende gegangen. Er hat in vielerlei Hinsicht Maßstäbe gesetzt und vor allem hat er verspieltes Vertrauen in den Rechtsstaat zurückgewonnen.

 Kurz vor dem Richterspruch: Beate Zschäpe gestern in München.

Kurz vor dem Richterspruch: Beate Zschäpe gestern in München.

Foto: dpa

Der NSU-Prozess hat Maßstäbe gesetzt, und man wird ihn ohne Abstriche historisch nennen dürfen. Die Urteile sind richtig und angemessen. Das sollte am Ende eines jeden Verfahrens gesagt werden können. Das Münchener Landgericht hat jedoch an weit mehr Stellen gezeigt, was eine souveräne Justiz zu leisten imstande ist, wenn viele andere staatliche Stellen – die Polizei, die Politik und der Verfassungsschutz – versagt haben.

Richter Manfred Götzls herausragende Leistung, das Verfahren über fünf Jahre geführt und zu einer Entscheidung gebracht zu haben, ist besonders zu unterstreichen. So funktioniert der demokratische Rechtsstaat und so gewinnt er verspieltes Vertrauen zurück. Götzl ist das geduldig und beharrlich trotz des politischen und medialen Drucks gelungen.

Verfahren werden durch Länge meist nicht besser. In diesem Fall hat sich das Gericht jedoch die notwendige Zeit genommen. Götzl hat Fakten erhoben, was seine Aufgabe ist. Dass er tiefer einsteigen musste als die meisten anderen Richter, lag an der desaströsen Vorarbeit von Polizei und Verfassungsschutz. Es sind gleichwohl wichtige Fragen offen geblieben. Die Aufarbeitung der NSU-Verbrechen ist deshalb nicht abgeschlossen. Wer wissen will, was wirklich geschehen ist, muss vermutlich noch ein paar Jahre warten und darf mit Überraschungen rechnen. Es gibt keinen Grund, die Sache nach dem Urteil ad acta zu legen. Fehler der Sicherheitsbehörden wie in diesem Fall dürfen nie wieder passieren. Es geht um die Glaubwürdigkeit unseres Staates und seine Fähigkeit, Sicherheit für alle zu gewährleisten. Schon deswegen müssen alle Fakten auf den Tisch.

Dem Gericht ist es auch gelungen, den gesellschaftlichen Sprengstoff zu entschärfen. Zu keinem Zeitpunkt ist es den Angeklagten und der Verteidigung gelungen, den Gerichtssaal zur Bühne für ihre mörderische Ideologie zu machen. Anders übrigens als vor Jahrzehnten in den großen RAF-Prozessen in Stammheim. Durch kluge Regie gelang es, die Interessen der Nebenkläger zu berücksichtigen. Dass es kaum gelingen würde, ihnen wirklich gerecht zu werden, ihre Frage nach dem Warum zu beantworten, gehört zu den Enttäuschungen, die Hinterbliebene von Opfern oft erleiden müssen. Auf manche ihrer Fragen gibt es keine befriedigende Antwort. Die Haltung, die viele der Betroffenen dennoch bewiesen, nötigt hohen Respekt ab.

Beate Zschäpe geht für die Morde des NSU voraussichtlich lebenslänglich ins Gefängnis. Der Ursprung ihrer Taten liegt in den frühen 1990er Jahren, als Deutschland eine Phase aggressiver Debatten um Migration, Asyl und Integration durchlief. Damals radikalisierten sich ein paar Jugendliche in Thüringen. Sie wurden schließlich zu ideologisch verblendeten Mördern an Migranten. Die Gesellschaft und ihr Staat tun gut daran, wachsam zu bleiben und die extremen Ränder des politischen Spektrums im Blick zu behalten. Und wer aktuell Debatten führt, muss wissen, was aggressive Töne zum Beispiel gegen Minderheiten bewirken können. Unerwünschte Nebenwirkungen sind möglich.

Das Urteil von München bringt ein Stück des verlorenen Vertrauens zurück. Ohne dieses Vertrauen wird eine absehbar unruhige Zukunft noch unruhiger.

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