EU-Austritt „Vertrauen wir dem Volk?“

London · Zwei Tage lang debattierten die britischen Abgeordneten in London über einen Gesetzentwurf zum Brexit. Einblicke in ein gespaltenes Parlament.

 Einen Debatten-Marathon lieferten sich die Abgeordneten des britischen Unterhauses über einen Gesetzentwurf zum EU-Austritt.

Einen Debatten-Marathon lieferten sich die Abgeordneten des britischen Unterhauses über einen Gesetzentwurf zum EU-Austritt.

Foto: dpa

Nur einen Satz umfasst der Gesetzentwurf und doch wird er bereits jetzt als einer der bedeutendsten in der britischen Geschichte betrachtet. „Die Premierministerin darf die Absicht des Vereinigten Königreichs zum Austritt aus der EU, gemäß Artikel 50 des Vertrags über die Europäische Union, bekannt geben.“ Er gibt der Premierministerin Theresa May die Vollmacht, den Scheidungsantrag von der EU zu stellen. Doch dafür müssen zuerst die Parlamentarier zustimmen und die wollten der Aufforderung von Downing Street nur nach einer umfassenden Auseinandersetzung folgen. Und so sorgte der einzelne Satz dafür, dass die Abgeordneten in den vergangenen zwei Tagen zu einem Debatten-Marathon zusammenkamen, der jeweils bis in den späten Abend ging.

Regierungsmitglieder schienen etwas genervt, sie hätten das Parlament gerne übergangen. Doch das höchste Gericht des Königreichs hatte geurteilt, dass das Unterhaus in den Brexit-Prozess einbezogen werden müsse. Dabei geht es jedoch um formale Kriterien und keineswegs um den Ausstieg an sich. „Es gibt kein Zurück mehr“, betonte denn auch Brexit-Minister David Davis zum Auftakt der Debatte. Die Briten hätten sich beim Referendum für den Austritt entschieden: „Vertrauen wir dem Volk oder nicht?“ Die Frage meinte er rhetorisch. Denn auch wenn das Parlament mehrheitlich pro-europäisch eingestellt ist, hatte die große Mehrheit bereits angekündigt, für das Gesetz zu stimmen und damit den Mehrheitswillen der Bevölkerung zu respektieren.

Nur um die Art des EU-Ausstiegs stritten die Abgeordneten zeitweise erbittert, einige Pro-EUler klangen gar gänzlich verbittert. Eine Labour-Politikerin verglich den Start des Austrittsverfahrens mit einer „Beerdigung“. Von jener Euphorie, die Brexit-Befürworter so gerne verbreiten, wenn sie die prächtige Zukunft außerhalb der EU ausmalen, war nur selten etwas zu spüren. Vielmehr herrschte unter den EU-Befürwortern angespannte Nervosität, viele äußerten ihre Sorgen hinsichtlich der Wirtschaft, des Status von EU-Einwanderern und der etlichen anderen offenen Fragen, deren Beantwortung die Regierung bislang schuldig blieb.

Die Debatte zeigte, wie gespalten das Parlament ist in der Frage, wie der Brexit umgesetzt werden soll. May hatte kürzlich angekündigt, einen harten Bruch mit Brüssel anzustreben und Großbritannien damit auch aus dem gemeinsamen europäischen Binnenmarkt führen zu wollen. Das stößt vielen Parlamentariern auf.

Am Donnerstag aber will die Regierung Details zur Verhandlungsstrategie vorlegen und damit Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen. Etliche Mitglieder der Opposition forderten mehr Mitspracherecht bei den Austrittsverhandlungen, einige wollen das Gesetz erweitern. Doch von Seiten der Labour-Partei kündigten nur wenige an, es zu blockieren und gegen die Parteilinie zu votieren. Oppositions-Chef Jeremy Corbyn verordnete Fraktionszwang. Erfrischend und fast ein bisschen aus der Zeit gefallen trat dagegen der Ex-Minister Ken Clarke auf – jener Konservative, der als einer der letzten leidenschaftlich überzeugten Europäer in seiner eigenen Partei übriggeblieben ist. Er wollte gegen das Gesetz stimmen, weil er sich einzig seinem Gewissen verpflichtet fühle. Clarke attackierte sogar Parteikollegen wie Außenminister Boris Johnson, weil dieser das Land vor dem Referendum getäuscht habe. Er spielte damit auf die vielen Versprechen an, die auch Johnson gab und die bereits kurz nach dem Votum kassiert wurden.

Der Entwurf soll nach dem Willen von Downing Street bis zum 7. März durch beide Kammern des Parlaments, Unterhaus und Oberhaus, gebracht werden. Eine erste Abstimmung stand gestern am späten Abend an, sie galt als Formsache.

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