Krise zwischen Berlin und Ankara Verbale Angriffe aus der Türkei

ISTANBUL · Der Konflikt um eine geplante Rede von Präsident Erdogan im Rahmen des G20-Gipfels in Deutschland droht zu eskalieren. Es droht ein neuer Tiefpunkt der deutsch-türkischen Beziehungen.

 Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan.

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan.

Foto: Burhan Ozbilici

Die Türkei hat mit heftigem Protest auf das Nein der Bundesregierung zu einer Veranstaltung von Präsident Recep Tayyip Erdogan am Rande des G20-Gipfels in Hamburg kommende Woche reagiert. Die Absage sei inakzeptabel, sagte Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin am Donnerstag. Entsprechende Äußerungen aus Deutschland seien provokativ und böswillig. Eine Begegnung Erdogans mit Türken in Deutschland aus fadenscheinigen Gründen abzulehnen, sei der Freundschaft und Partnerschaft zwischen beiden Ländern nicht angemessen.

Kalin warf deutschen Politikern vor, türkeifeindliche Gruppen zu unterstützen: „Jene, die sich jetzt der Türkei gegenüber zu Belehrungen aufschwingen, schützen Terrororganisationen, Putschisten und Leute, die vor dem Gesetz davonlaufen.“ Die Türkei beklagt sich darüber, dass kurdische Extremisten und Anhänger des von Ankara als Drahtzieher des Putschversuchs vom vorigen Jahr betrachteten Predigers Fethullah Gülen in Deutschland Zuflucht finden.

Das türkische Außenamt sprach von einer „bedauerlichen“ Reaktion Berlins und zeigte sich besonders verärgert über SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz. Dieser habe sein wahres Gesicht gezeigt. Auch regierungsnahe Medien in der Türkei reagierten mit Empörung. In der Online-Ausgabe der Zeitung „Star“ war von einem „Skandal“ und einer „Frechheit“ der Deutschen die Rede.

Damit eskaliert der seit Monaten anhaltende deutsch-türkische Streit erneut. Mit den Wortgefechten über türkische Politikerauftritte in der Bundesrepublik, über die Inhaftierung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel in der Türkei, das Besuchsverbot für deutsche Politiker auf der türkischen Luftwaffenbasis Incirlik und über den von Ankara beklagten Schutz angeblicher türkischer Staatsfeinde in Deutschland brechen sich grundsätzliche Interessensgegensätze Bahn. Die Türkei beansprucht für sich eine größere internationale Rolle und sieht sich von Deutschland und anderen westlichen Partnern insbesondere seit dem Putschversuch vor einem Jahr alleingelassen.

Keine bestätigten Termine für Erdogan

In Deutschland sorgen sich Politiker dagegen um die Mobilisierung der türkischen Minderheit für Erdogan und verurteilen den Demokratie-Abbau in der Türkei. Außenminister Sigmar Gabriel sprach diese prinzipiellen Differenzen mit den Worten an, die in der Bundesrepublik lebenden Türken gehörten zu Deutschland und sollten nicht „aufgewiegelt“ werden.

Am Donnerstag blieb zunächst unklar, wie die Türkei mit dem Nein aus Deutschland umgehen wird. Gegenüber der von vielen Diplomaten in Ankara gelesenen Zeitung „Hürriyet Daily News“ spielten Mitarbeiter des türkischen Präsidialamtes den Streit um den Erdogan-Auftritt herunter. Anders als von der deutschen Regierung behauptet, habe das Präsidialamt keine solche Veranstaltung beantragt, hieß es in der Online-Ausgabe des Blattes. Erdogan sei zwar zu einer Kundgebung in Deutschland eingeladen worden, doch sei darüber noch nicht entschieden. Von wem die Einladung kam, ging aus der Meldung nicht hervor.

Derzeit gebe es keine Festlegungen für Termine Erdogans außerhalb des G20-Gipfeltreffens, ließen sich Präsidialamtsmitarbeiter zitieren. Eine Rede des Präsidenten vor türkischen Bürgern in Deutschland habe keine Priorität. Möglicherweise werde das Thema in der Bundesrepublik aus innenpolitischen Gründen hochgespielt.

Probleme auch mit Erdogans Leibwächtern

Kalin hatte in den vergangenen Tagen deutlich gemacht, dass Erdogan im Rahmen seines Besuches beim G20-Gipfel vor einem türkischen Publikum in Deutschland sprechen wolle. Ankara hoffe, dass Deutschland die richtigen Lehren aus dem Streit um Auftrittsverbote für türkische Politiker in der Bundesrepublik im Frühjahr gezogen habe. Im Frühjahr hatte Erdogan den Deutschen Nazi-Methoden vorgeworfen.

Außenminister Mevlüt Cavusoglu hatte im März das deutsche Auftrittsverbot für türkische Regierungspolitiker mit einer Rede in der Residenz des türkischen Generalkonsuls in Hamburg umgangen; diplomatische Vertretungen in einem anderen Staat gelten als extraterritoriales Gebiet und sind daher der Kontrolle der Behörden des jeweiligen Gastlandes entzogen.

Streit gibt es auch um Erdogans Leibwächter, die bei einem Besuch in den USA im Mai regierungskritische Demonstranten in Washington verprügelt hatten und mit US-Haftbefehlen belegt wurden. Die deutschen Behörden haben die türkische Seite gewarnt, ähnliche Szenen wie in Washington würden beim G20-Gipfel in Hamburg nicht geduldet.

Die Erdogan-nahe Zeitung „Daily Sabah“ kommentierte, es handele sich um eine Vorverurteilung durch Deutschland: Die Leibwächter könnten in Hamburg präventiv festgenommen und an die USA ausgeliefert werden. In diesem Fall wäre Erdogan ungeschützt anti-türkischen Protesten in der Hansestadt ausgesetzt.

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