Inhaftierter Journalist Deniz Yücel Türkei kooperiert mit der Allianz der Kreuzzügler

Istanbul · Die Türkei erlaubt deutschen Diplomaten den Zugang zum seit Februar inhaftierten "Welt"-Journalisten Deniz Yücel. Damit wirft die Regierung um Präsident Recep Tayyip Erdogan ihre eigene Prinzipien über Bord.

 Sieben Wochen nach der Festnahme von Deniz Yücel in der Türkei erhält Deutschland erstmals konsularischen Zugang zu ihm.

Sieben Wochen nach der Festnahme von Deniz Yücel in der Türkei erhält Deutschland erstmals konsularischen Zugang zu ihm.

Foto: dpa

An der Pforte des Gefängnisses in Silivri außerhalb der westlichen Stadtgrenze von Istanbul werden sich an diesem Dienstag deutsche Besucher anmelden. Diplomaten der Bundesrepublik erhalten erstmals Zugang zu dem seit fast zwei Monaten inhaftierten deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel. Laut Auswärtigem Amt kam die Genehmigung der Türkei zu dem seit Anfang März versprochenen Besuch nach einer erneuten Bitte von Bundesaußenminister Sigmar Gabriel an seinen türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu. Dass die türkische Regierung in jüngster Zeit häufig auf die europäischen Staaten schimpft, ist aus Sicht Ankaras kein Widerspruch.

Yücel sitzt wegen des Vorwurfs der Terrorpropaganda und der Volksverhetzung in Untersuchungshaft. Seine Anwälte haben sich an das türkische Verfassungsgericht gewandt, um seine Freilassung zu erreichen, doch eine Antwort steht noch aus. Nach Angaben der Oppositionspolitikerin Safak Pavey, die Yücel Anfang März in Silivri besuchte, sitzt der Journalist in einer Einzelzelle. Yücel sagte Pavey damals, es gehe ihm gesundheitlich gut. Auch habe er seine Zuversicht nicht verloren.

Präsident Recep Tayyip Erdogan nennt den „Welt“-Korrespondenten Yücel in seinen Wahlkampfreden vor dem Verfassungsreferendum am 16. April offen einen „Agenten“; allein diese Vorverurteilung durch das Staatsoberhaupt lässt daran zweifeln, dass die türkische Justiz der Forderung der Berliner Regierung nach baldiger Freilassung des Reporters nachkommen wird. Bei einer Kundgebung in Ankara am Wochenende bezeichnete Erdogan die EU als „Allianz der Kreuzzügler“, die ein muslimisches Land wie die Türkei aus religiösen Gründen nicht aufnehmen wolle. Die EU belüge die Türkei seit Jahren, sagte Erdogan.

Die scharfe Rhetorik, mit der Erdogan islamistische und nationalistische Wähler für ein „Ja“ zum Präsidialsystem bei der Volksabstimmung gewinnen will, passt zu seinen „Nazi“-Vorwürfen an Bundeskanzlerin Angela Merkel der vergangenen Wochen. Die EU solle sich bloß nicht in die inneren Angelegenheiten der Türkei einmischen, sekundierte Ministerpräsident Binali Yildirim.

Yildirim war es auch, der Merkel Anfang März zusagte, dass deutsche Diplomaten den „Welt“-Korrespondenten in der Haft besuchen dürften. Danach geschah einige Wochen erst einmal nichts – die türkische Regierung widmete sich der Kritik an Deutschland und den Niederlanden wegen der Auftrittsverbote für türkische Minister. Inzwischen hat sich der Streit um die Politiker-Besuche etwas abgekühlt, insbesondere nach der Entscheidung der Erdogan-Partei AKP, auf Wahlkampfveranstaltungen mit hochrangigen Vertretern in Europa zu verzichten.

Das grüne Licht aus Ankara für den Diplomaten-Besuch bei Yücel löst nicht nur ein Versprechen des Ministerpräsidenten ein. Die Besuchserlaubnis könnte auch ein Signal dafür sein, dass die türkische Regierung trotz der Kritik an der EU nicht gleich alle Brücken abbrechen will. Erdogan-Kritiker in der Türkei sind zwar überzeugt, dass der Präsident keine große Energie mehr in den türkischen EU-Beitrittsprozess stecken will. Aber ob Erdogan den völligen Bruch mit Europa anstrebt, ist unklar.

Schon in der Vergangenheit hat Erdogan häufig gegen die Europäer gewettert, ohne dass er die Beitrittsverhandlungen von sich aus für beendet erklärt hätte. Nach dem Referendum in knapp zwei Wochen könnte es mehr Klarheit über den Europa-Kurs des Präsidenten geben – und vielleicht auch über das weitere Schicksal von Deniz Yücel.

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