Interview mit Bremens Bürgermeister Sieling: "Scholz setzt die falsche Priorität"

Bremen · Bremens Bürgermeister Carsten Sieling (SPD) spricht im Interview über die Flüchtlingsfinanzierung und die Wahl am 26. Mai. Geht Bremen verloren, hat das Signalcharakter über den Stadtstaat hinaus.

 Carsten Sieling, Bürgermeister von Bremen.

Carsten Sieling, Bürgermeister von Bremen.

Foto: picture alliance/dpa

Die SPD regiert in Bremen seit 74 Jahren ununterbrochen. Wie gehen Sie mit dem historisch gewachsenen Druck um?

Carsten Sieling: Ich glaube, dass jeder Amtsinhaber bei jeder Wahl so etwas spürt. Die sehr lange Erfolgsgeschichte der SPD in Bremen erhöht den Druck nicht für mich, noch einmal gewinnen zu müssen. Wir haben eine gute Bilanz und gehen zuversichtlich in den Wahlkampf.

Alle bisherigen Umfragen zeigen aber ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Ihrem CDU-Herausforderer Carsten Meyer-Heder. Sind Effekte im Bund Schuld daran, dass Ihr Vorsprung geschmolzen ist?

Sieling: Ja, das hat natürlich auch viel mit der bundesweiten Lage der SPD zu tun. Die letzte Umfrage bei uns wurde zu einer Zeit gemacht, als die Bundes-SPD bei 15 Prozent lag. Wir haben mit 24 Prozent den üblichen Abstand zum Bund halten können, trotzdem ging es insgesamt bergab.

Sie sehen in Ihrem Handeln als Bürgermeister keine Gründe für die schlechten Werte?

Sieling: Moment, Sie haben eben nach den Effekten im Bund gefragt. Natürlich gibt es auch Gründe bei uns für die geringere Zustimmung. Seit Ende der 1980er Jahre fährt Bremen wegen der Auflagen im Geflecht der Bund-Länder-Finanzen einen harten Sparkurs. Für die Menschen in Bremen und Bremerhaven waren das harte Jahre.

Erwarten Sie, dass die Grünen als Ihr Koalitionspartner loyal bleiben? Oder liebäugeln die mit der CDU?

Sieling: Es gibt viel Bewegung in der politischen Landschaft. Da kämpft jede Partei vorrangig für sich. Ich will die SPD zur stärksten Partei machen und Bürgermeister bleiben. Über Koalitionen reden wir nach der Wahl. Die derzeitige Koalition arbeitet gut, und wir werden uns auch im Wahlkampf nicht zerfetzen.

Sind die Linken in Bremen regierungsfähig?

Sieling: Die Bremer Linke gehört zum Spektrum der demokratischen Parteien, in der Bürgerschaft machen sie eine ordentliche Oppositionsarbeit.

Und dann kommt Rot-Rot-Grün an der Weser?

Sieling: Noch einmal: Über Koalitionen reden wir nach der Wahl.

Im Berliner Willy-Brandt-Haus hat man die klare Erwartung an Sie, die große Schmach einer Wahlniederlage abzuwenden. Wird Ihnen das so klar gesagt aus der Parteispitze?

Sieling: Ich erfreue mich großer Unterstützung für den Wahlkampf von Andrea Nahles, Olaf Scholz und anderen führenden Sozialdemokraten. Das Sozialstaatskonzept, zu dem ich meinen Beitrag geleistet habe, gibt uns in Bremen Rückenwind.

Sind gemeinsame Auftritte mit Frau Nahles und Herrn Scholz geplant?

Sieling: Andrea Nahles wird zum Wahlkampfauftakt kommen, ebenso wie eine Reihe weiterer Bundesminister.

An diesem Samstag soll bei der Verabschiedung des SPD-Europawahlprogramms auch über Artikel 13 abgestimmt werden. Haben Sie Verständnis für die Aufregung darum?

Sieling: Ja. Artikel 13 darf in dieser Form nicht kommen. Die vorgesehenen Uploadfilter sollten nicht zur Anwendung kommen. Das ist für uns als SPD klar.

Katarina Barley ist da aber als Justizministerin einerseits und als SPD-Spitzenkandidatin andererseits in einer schwierigen Lage.

Sieling: Ich glaube, dass auch die Union erkennen sollte, dass der Artikel 13 mit drohenden Filtern nicht mehrheitsfähig in der Bevölkerung ist. Katarina Barley wird das in ihrer Doppelrolle deutlich machen.

Sie streiten derzeit erbittert mit Olaf Scholz über die Fortführung der Flüchtlingsfinanzierung. Hätten Sie so einen harten Sparkurs von Ihrem Parteifreund erwartet?

Sieling: Da agiert der Bundesfinanzminister in einem enger werdenden Haushalt. Aber er setzt an der Stelle die eindeutig falsche Priorität. Wir brauchen weiterhin die Unterstützung vom Bund in der bisherigen Größenordnung. Das haben wir ihm als Ministerpräsidenten unmissverständlich klargemacht und in dieser Woche noch einmal wiederholt.

Aber die Kosten sind doch gerade für die Länder leicht zurückgegangen. Überziehen Sie nicht?

Sieling: Nein, die 4,7 Milliarden Euro sind ganz sicher nicht überzogen. Wir müssen das Geld an die Kommunen weiterleiten, die die hohen Anforderungen an die Integration der Flüchtlinge erfüllen. Die Integration ist eine gesamtstaatliche Aufgabe. Nach wie vor tragen Kommunen und Länder den weit überwiegenden Teil der finanziellen Lasten. Der Bund muss sich seiner Verantwortung stellen und darf sich nicht in die Büsche schlagen. Die Länder werden schon in den kommenden Wochen mit Olaf Scholz darüber reden.

Bei der Ministerpräsidentenkonferenz haben Sie auch über die Rundfunkbeiträge gesprochen. Halten Sie die aktuell aufgerufenen 17,50 Euro für angemessen und ausreichend?

Sieling: Nein. Gemeinsam mit meinen Amtskolleginnen und Kollegen der SPD bin ich deshalb für eine maßvolle Erhöhung der Beiträge auf mehr als 18 Euro. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk leistet sehr wichtige und gute Arbeit, er bietet ein breites Programm für alle Bevölkerungsgruppen. Das will ich erhalten, auch wenn die Sender mit den Beiträgen natürlich sparsam umgehen müssen.

Extreme Sparsamkeit wird im Rahmen der Schuldenbremse auch von Ihnen in den Ländern erwartet, während der Bund sich marginal neu verschulden darf. Ist das fair?

Sieling: Wir haben die Schuldenbremse und halten sie in Bremen ein. Gleichzeitig brauchen wir jetzt ein Jahrzehnt der Investitionen. Und die müssen trotz Schuldenbremse möglich werden. Insbesondere für den Bund braucht es da Antworten.

Was schlagen Sie vor?

Sieling: Der Soli muss für die sehr hohen Einkommen bleiben. Wenn es keine Mehrheiten für gezielte Steuermehreinnahmen gibt, muss über eine Anpassung der Schuldenbremse geredet werden. Aber nur für Investitionen! Bei Digitalisierung, im Verkehr, der Bildung und der Energiewende darf Deutschland nicht zurückfallen. Unsere Wettbewerbsfähigkeit muss gesichert bleiben.

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