Sondierungsgespräche Seehofers Zustimmung bricht das Eis zwischen CDU und SPD

Berlin · In der SPD-Parteizentrale waten die Mitarbeiter knietief in Protest-Mails, die alle denselben Tenor gegenüber der Spitze um den Chef Sigmar Gabriel haben: "Wenn ihr den Mindestlohn nicht mitbringt, braucht ihr euch nicht mehr sehen zu lassen." Das "Ja" dazu kommt von CSU-Chef Horst Seehofer und bringt die Sondierungsgespräche zu einem erfolgreichen Abschluss.

Themen der Sondierungen (von links oben nach rechts unten) Betreuungsgeld, Krankenversicherung, Mindestrente bei Geringverdienern, Pkw-Maut, Mietpreisbremse, Euro-Rettungs- und Finanzmarktpolitik, Bildungspolitik, Mindestlohn und Energiewende.

Themen der Sondierungen (von links oben nach rechts unten) Betreuungsgeld, Krankenversicherung, Mindestrente bei Geringverdienern, Pkw-Maut, Mietpreisbremse, Euro-Rettungs- und Finanzmarktpolitik, Bildungspolitik, Mindestlohn und Energiewende.

Foto: dpa

Es ist fast so wie immer: Touristen beobachten mit - durch Absperrgitter erzwungenen - gebührendem Abstand das Treiben am West-Eingang des Paul-Löbe-Hauses. Viel geboten wird ihnen Donnerstagmittag nicht. Die Delegationen aus CDU/CSU und SPD haben einen internen Aufgang zum Saal Berlin in der Parlamentarischen Gesellschaft benutzt: Presse- und Öffentlichkeitskontakt unerwünscht. Nur die Reiseführer der auf der Spree vorbeischippernden Ausflugsdampfer verkünden ihren wenigen Fahrgästen, dass "da irgendwo über eine Regierungsbildung" verhandelt wird: Koalitionsbildung als Touristenattraktion.

Es hatte aber, wenn auch relativ kurze, getrennte Vorbesprechungen der möglichen Koalitionspartner gegeben. Danach hatte auf SPD-Seite der noch amtierende stellvertretende SPD-Vorsitzende Klaus Wowereit den Journalisten mit einer bei ihm bis dahin nicht gekannten Engelsgeduld immer und immer wieder erklärt, warum die Sozialdemokraten auf einem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro beharren müssen. Darauf hätten sie den ganzen Bundestagswahlkampf lang gepocht - und davon würden sie nicht abrücken. In der SPD-Parteizentrale waten die Mitarbeiter knietief in Protest-Mails, die alle denselben Tenor gegenüber der Spitze um den Chef Sigmar Gabriel haben: "Wenn ihr den Mindestlohn nicht mitbringt, braucht ihr euch nicht mehr sehen zu lassen." Diese Frage soll auch im Mittelpunkt eines fast einstündigen Sechs-Augen-Gipfelgesprächs der drei Parteivorsitzenden Merkel, Gabriel und Seehofer gestanden haben. Es fand unmittelbar vor der großen Runde statt.

Der CSU-Vorsitzende hatte am Morgen für Aufsehen gesorgt. Gegenüber der Süddeutschen Zeitung verdeutlichte er, dass er bereit sei, die 8,50 Euro als Mindestlohn zu akzeptieren. Er sehe ein, dass die Sozialdemokraten einen Triumph in dieser Frage brauchten. Niemandem sei gedient, wenn die Partei am Sonntag eine "krachende Niederlage" auf dem kleinen Parteitag einstecken würde. Allerdings ist der bayerische Ministerpräsident erfahren genug, an das Angebot Bedingungen zu knüpfen: Er sprach sich für eine Differenzierung für die Bezahlung von Auszubildenden aus. Außerdem dürften die Arbeitsplätze durch eine Mindestlohnlösung nicht gefährdet werden. Ähnlich hatte die Kanzlerin am Vortag vor dem Bergbau- und Energie-Gewerkschaftskongress in Hannover argumentiert. Die SPD müsse sich in einer eventuellen Koalition verpflichten, sich verbindlich von Steuererhöhungen und neuen Schulden zu verabschieden. Im Raum stehe außerdem die Forderung der SPD, man möge von dem Betreuungsgeld Abschied nehmen, das an jene Eltern ausgezahlt wird, die ihren Nachwuchs zu Hause versorgen und nicht in einer Kindertagesstätte unterbringen wollen.

Drei Stunden dauerte die dritte Sondierungsrunde. Als erster tritt SPD-Chef Gabriel danach vor die Presse. Und ihm ist erkennbar zweierlei wichtig: Dass man am Ende eines Sondierungsprozesses, der erst die Voraussetzung der Koalitionsgespräche sein kann, zu der Überzeugung gekommen sei, Koalitionsverhandlungen aufzunehmen.

[kein Linktext vorhanden]Dem SPD-Chef ist es so wichtig, dass er es zweimal erwähnt: Seine Verhandlungsdelegation sei "einstimmig" zu der Überzeugung gekommen, dass am kommenden Mittwoch die erste Gesprächsrunde zusammenkommen wird. Das bedeutet, dass auch NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, die der Elefanten-Hochzeit skeptisch gegenüberstand, eingewilligt hat. Sie war bei der vorangegangenen Sondierung in der Nacht zum Dienstag heftig mit CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt aneinandergeraten. Unions-Fraktionschef Volker Kauder forderte am Ende der gestrigen Beratungen die beiden auf, "sich wieder zu versöhnen". Zwischenruf der Ministerpräsidentin: "Das haben wir doch längst gemacht." Beide hatten auf dem Balkon der Parlamentarischen Gesellschaft für die Fotografen posiert und sich dabei demonstrativ die Hand geschüttelt.

Vor dem SPD-Chef liegen 72 aufregende Stunden. Er muss jetzt in diversen parteiinternen Schaltkonferenzen für die Zustimmung zu den Koalitionsverhandlungen werben, bevor am Sonntag Mittag der SPD-Konvent in Berlin entscheidet. Wichtig dabei ist ein Redebeitrag Gabriels vor dem Gewerkschaftstag in Hannover, wo er die Reaktion der Delegieren testen wird. Am Ende hat es ohnehin die SPD-Basis in der Hand: Sie soll in einer Mitgliederbefragung über den dann vorliegenden Koalitionsvertrag befinden. Eine Vorentscheidung dürfte der Bundesparteitag Mitte November in Leipzig bringen.

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