Nicht im Sinne des Erfinders Pegida-Anhänger schwenken seltsamerweise Wirmer-Flagge

Bonn · Bei Demos schwenken Pegida-Anhänger gerne die Wirmer-Flagge. Kurioserweise: Denn deren Erfinder Josef Wirmer war Widerstandkämpfer gegen die Nationalsozialisten und wandte sich gerade gegen fremdenfeindliches Gedankengut.

 Teilnehmer einer Kundgebung der fremden- und islamfeindlichen "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" (Pegida).

Teilnehmer einer Kundgebung der fremden- und islamfeindlichen "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" (Pegida).

Foto: dpa

Schwarz, Rot, Gold – ein Meer aus Flaggen: Die Pegida-Bewegung setzt auf Einheitlichkeit. Bei Kundgebungen schwenken die Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes am liebsten Deutschlandfahnen – vereinzelt ist auch das Schwarz-Weiß-Rot des Deutschen Kaiserreiches zu sehen.

Und dann gibt es da noch die Wirmer-Flagge. In großer Zahl flattert sie über die Köpfe der Protestler hinweg. Nur wenige kennen sie – und ein Mann will aufklären.

„Jedes Mal, wenn ich die Flagge bei Pegida-Demonstrationen sehe, bin ich extrem betroffen“, erklärt Anton Wirmer. „Der Entwurf stand einmal für das exakte Gegenteil. Er richtete sich gegen rechten Terror und gegen fremdenfeindliches Gedankengut.“

Der 77-Jährige ist der Sohn des Flaggen-Erfinders. Sein Vater, Josef Wirmer, war Jurist und überzeugter Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus. Wirmer gehörte zu den Personen des 20. Juli 1944 und beteiligte sich an der Planung des Attentats auf Adolf Hitler.

„Die Treffen fanden teilweise bei uns zu Hause in Berlin statt“, erinnert sich Anton Wirmer, der damals vier Jahre alt war. Sein Vater war Mitglied der Zentrumspartei und vermittelte zwischen unterschiedlichen Widerstandskreisen, um eine Einheitsfront der Opposition gegen Hitler zu bilden.

Vater wollte Zeichen setzen

Zu dieser Zeit entstand auch der Entwurf, den Josef Wirmer für eine neue Nationalflagge nach dem erhofften Sturz Hitlers vorgesehen hatte. „Mein Vater wollte auf diese Weise ein Zeichen für eine freiheitliche und tolerante Gesellschaft setzen“, erklärt Anton Wirmer, der heute in Köln lebt. Der Entwurf sollte mit dem Kreuz als christlichem Symbol ein Kontrapunkt gegen das damals allgegenwärtige Hakenkreuz setzen. Das Design war an skandinavischen Flaggen angelehnt.

Im August 1944, nach dem Scheitern des Attentats, wurde Josef Wirmer inhaftiert. Einen Monat später verurteilte ihn der Volksgerichtshof zum Tode. Noch am gleichen Tag wurde er schließlich hingerichtet.

Später brachte Josef Wirmers jüngerer Bruder Ernst den Entwurf für die CDU in die Beratungen des Parlamentarischen Rates ein. Dieser entschied sich aber – wohl im Sinne der historischen Kontinuität – für das Weimarer Modell, also das heutige Design.

Danach hatte der Entwurf Wirmers nur noch historische Bedeutung – bis er schließlich bei den Pegida-Demonstrationen wieder auftauchte. Die Protestler sehen in der Flagge ein Symbol für eine nordische Kulturtradition.

Beliebtheit in rechten Kreisen

Der rechte Blog „Politically Incorrect“ empfahl sie vor der Fußball-EM 2012 als „kultige Alternative“ zur Deutschlandfahne. Ein Grund für ihre Beliebtheit in rechten Kreisen dürfte auch sein, dass das Zeigen der Wirmer-Flagge anders als im Fall einiger Varianten der Reichskriegsflagge keine Störung der öffentlichen Ordnung bedeutet.

Anton Wirmer sagt, ein juristisches Vorgehen gegen Pegida sei schwierig. „Das Urheberrecht am Entwurf meines Vaters ist nach nunmehr 70 Jahren abgelaufen“, erklärt der ehemalige Ministerialdirektor und Anwalt. Mit gerichtlichen Mitteln sei eine Verwendung der Flagge daher schwer zu verhindern. Das sei aber auch gar nicht sein primäres Ziel.

Er ist sich sicher, dass die Auseinandersetzung mit rechten Tendenzen in der Gesellschaft vor allem politisch geführt werden müsse – auf allen Ebenen: "Die gegenwärtigen Geschehnisse sprechen eine deutliche Sprache. Es geht nicht nur um einen Flaggenentwurf, sondern um die Bewahrung unser freien und rechtstaatlichen Ordnung. Dies betrifft uns alle."

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