SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück ist am vorläufigen Ziel

Der Mann ist im Rentenalter, aber an Ruhestand denkt er nicht. Er denkt ans Kanzleramt. Und das nicht erst seit gestern. Als Peer Steinbrück, damals 64, vor einem Jahr im GA-Interview gefragt wurde: "Welche Kriterien muss ein Bundeskanzler in diesen Zeiten erfüllen?", da gab er mit der Stellenbeschreibung auch gleich seine Bewerbung dazu.

 In Willy Brandts großem Schatten: Peer Steinbrück gestern in der SPD-Parteizentrale.

In Willy Brandts großem Schatten: Peer Steinbrück gestern in der SPD-Parteizentrale.

Foto: dpa

"Das Wichtigste ist Vertrauen zu erwecken... Vertrauen müssen Sie sich erarbeiten durch Beständigkeit, durch Konturen, durch Konsistenz, durch Erklärungen. ... Daneben geht es um Kompetenz und eine klare Sprache." Und an anderer Stelle des Interviews ergänzte er: "Zurzeit ist der Typus gefragt, dem man abnimmt, dass er ein solides Management hinlegt. Dass er darin Erfahrungen hat. Und dass er vielleicht auch komplexere Sachverhalte allgemeinverständlich erklären kann."

Wer das las, musste nicht mehr rätseln, auf wen das gemünzt war. Auf Steinbrück selber, auf niemanden sonst. Und quasi um letzte Zweifel zu beseitigen, wurde der damals noch Kanzlerkandidatenkandidat Peer Steinbrück auch sehr inhaltlich: "Was entscheidet die Bundestagswahl 2013?", lautete die Frage. Die Antwort des früheren Bundesministers der Finanzen: "Ganz sicherlich: Deutschland in und mit Europa. Was kostet uns diese Solidarität (mit schwächelnden Euro-Staaten) und was haben wir davon? Zweitens: der Arbeitsmarkt mit der Abkoppelung weiter Teile der Bevölkerung von der Wohlstandsentwicklung. Drittens: die Zukunft unserer Sozialsysteme."

Womit auch in der Sache klar war: Steinbrück meint Steinbrück, denn mit dem Euro hat er mehr Erfahrungen als alle anderen in der deutschen Sozialdemokratie.

Am Freitag also war es soweit. Die Troika aus Parteichef Sigmar Gabriel, Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier und Steinbrück selbst sah ein, dass der Zeitplan nicht mehr zu halten war, erst Ende des Jahres den Kandidaten zu benennen. Die Linke witzelte schon, sie habe befürchtet, dass die SPD mit drei Kandidaten ins Rennen gehe.

Steinbrück muss das recht sein. Auch wenn er erst Anfang der Woche dem "Spiegel" die Horrorvision anvertraute: "Man darf einen Kandidaten nicht zu lange laufen lassen. Der wird an der Wand entlanggezogen, der wird zersägt, wieder zusammengeklebt, wieder auseinandergenommen."

Besser so als gar nicht. Denn für den Fast-Rentner Steinbrück ist dies natürlich die letzte politische Großchance. Dass er die mit allen Mitteln nutzen will, darf man annehmen. Denn zu behaupten, er habe die Entwicklung der Dinge abgewartet, wäre reichlich untertrieben. Der Musikkenner hat gespielt auf allen Klavieren. Hier ein Großinterview, dort ein Zeitschriftentitel. Eine Schachpartie mit Altkanzler Helmut Schmidt, Hanseat wie er, der ihm dann auch den Gefallen tat, ihn zum Kandidaten auszurufen. [kein Linktext vorhanden]

Das kam nicht von ungefähr. Denn Schmidt schätzt Steinbrück seit gemeinsamen Tagen im Kanzleramt. Ende der 70er Jahre wechselte der Architektensohn nach einer miserablen Schulzeit und dem Studium (mit Abschluss Diplom-Volkswirt) in den öffentlichen Dienst. Zunächst als persönlicher Referent mehrerer Forschungsminister, dann ins Kanzleramt, wo er ab und zu Helmut, dem Macher zuarbeiten durfte.

Nach dem Ende der sozialliberalen Koalition endete auch Steinbrücks Bundesbeamtenkarriere vorerst, er wechselte nach Nordrhein-Westfalen, wurde Büroleiter von Johannes Rau. Was ihm nicht lange reichte. Aus dem Beamten begann der Politiker zu werden. Erst als Staatssekretär in Schleswig-Holstein, dann als Minister dort und in Düsseldorf.

2002 war es soweit: Steinbrück, wurde als Nachfolger von Wolfgang Clement Ministerpräsident in Düsseldorf. Mit durchschlagendem Erfolg, wie der Meister des Zynismus und der Ironie es selbst sagen könnte. Denn bei der folgenden Landtagswahl 2005 erzielte die SPD mit ihm an der Spitze das bis dato schlechteste Ergebnis seit 1954: 37,1 Prozent (was heute für manchen wiederum ein Traum wäre - die Zeiten ändern sich).

Die Grünen, die Steinbrück in der gemeinsamen Regierungszeit mit Ausdauer gereizt hatte, büßten auch ein, die Mehrheit war futsch. Steinbrück ohne Job. Angela Merkel belohnte seinen Beitrag zum Regierungswechsel in NRW (Jürgen Rüttgers übernahm) mit dem Amt des Bundesfinanzministers in der großen Koalition. Spätestens seitdem wurde er auch bundesweit, wie man im Politikerdeutsch sagt, "eine Nummer". Legendär als er, sein Urgroßonkel war Mitbegründer der Deutschen Bank, am 5. Oktober 2008 auf dem Höhepunkt der Finanz- und Bankenkrise gemeinsam mit Merkel eine Garantiererklärung für die Spareinlagen der Deutschen abgab. Der Mann ist schon immer etwas weitergegangen als andere. Und was andere darüber denken, bringt ihn nicht gerade zur Zurückhaltung. Eher zum Gegenteil.

Seit 2009 hätte Sozialdemokrat Steinbrück Privatmann sein können. Wollte er aber nicht. Zuhause im Godesberger Villenviertel herrschte die sich zwangsläufig einstellende Leere, wenn die Frau arbeitet (Gertrud Steinbrück unterrichtet nebenan im Amos-Comenius-Gymnasium) und die Kinder (ein Sohn, zwei Töchter) aus dem Haus sind. Steinbrück wird Bundestagsabgeordneter, schreibt Bücher. Eines nennt er - ganz der Finanzmann - wie die GA-Kolumne: "Unterm Strich", wobei er die böse Erfahrung macht, dass, wenn der Computer streikt, das Problem meist vor dem Bildschirm sitzt. Er hält für viel Geld Vorträge, lässt ab und zu als Abgeordneter in Berlinsein Talent aufblitzen. Kurz: Er hält sich in Erinnerung.

Inhaltlich räumt er sogar, für Politiker eher selten, Fehler ein. Zum Beispiel, Griechenland in den Euroclub aufgenommen zu haben, nicht wissend, dass Athens Zahlen gefälscht waren. Den Vorwurf, er habe mit dazu beigetragen, den Finanzmarkt so zu liberalisieren, dass es zum Crash kommen musste, würde er lieber unkommentiert lassen. Aber er weiß, dass es so ist.

Jetzt will er sie an die Leine legen - und die gute alte, am liebsten immer noch ein bisschen linke SPD macht da gerne mit. Erst am Mittwoch hat er sein Konzept dazu vorgestellt. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.

Steinbrück kann nicht mit der Partei, ist zu konservativ? Das zu behaupten, wird jetzt schwerer. Im übrigen hat der Kanzlerkandidat keine Angst vor diesem Konflikt: "Gelegentlich muss man die eigene Partei fordern", sagt er und tut es auch gleich, etwa wenn er Urlaubsverzicht anregt, weil die Leute das Geld stattdessen in Vorsorge investieren sollten. Die Kritik der linken Parteibasis, die so sicher wie das Amen in der Kirche kommt, tangiert ihn ohnehin wenig.

Erstens, weil die noch mehr Wahlen verloren hat als er. Zweitens, weil er weiß, wie unbedeutend das ist. "Mit einer halben Million SPD-Mitglieder plus Familienmitglieder und Lebenspartner gewinnen Sie keine Wahl", sagt der Mann, den die Partei von 2005 an fast fünf Jahre als stellvertretenden Vorsitzenden getragen hat, dem "Spiegel".

Zurück ins letzte Jahr. Steinbrück auf Schulbesuch in Godesberg. Er soll unter einem Poster posieren mit der Überschrift "Wie werde ich Bundeskanzler". Das lehnt er damals im Mai ab. Heute würde er das nicht mehr tun. Die Zeiten haben sich geändert.

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