Gesundheitsreform in den USA Panik im Weißen Haus

WASHINGTON · Dass es schlimm werden würde mit dem wichtigsten innenpolitischen Projekt Obamas, war den Beratern des amerikanischen Präsidenten seit Wochen klar. Dass es so schlimm werden würde - nicht.

Einen Monat nach dem Start der seit vier Jahren projektierten Gesundheitsreform haben in 36 Bundesstaaten erst 27 000 Amerikaner auf der von haarsträubenden technischen Unzulänglichkeiten geplagten Internet-Seite des Bundes (www.healthcare.gov) eine Krankenversicherung abgeschlossen. In 14 Bundesstaaten, die ihre Sache selber in die Hand nehmen, waren es knapp 80 000. Die Zahlen nannte Gesundheitsministerin Kathleen Sebelius verschämt.

Damit das von den oppositionellen Republikanern heftig bekämpfte Misch-Modell einer gesetzlichen Krankenversicherung mit staatlichen Zuschüssen und privaten Elementen funktioniert, müssen sich bis Frühjahr 2014 sieben Millionen nicht versicherte Bürger eine Police ausgesucht haben.

Nur so, heißt es in Regierungskreisen, kann ein finanzielles Gleichgewicht zwischen jüngeren Gesunden (die vergleichsweise mehr einzahlen) und älteren Kranken (die mehr kosten) entstehen. Ob das Ziel noch zu erreichen ist? "Wohl kaum", sagen inzwischen Kritiker selbst im Obama-Lager.

Obamas Zustimmungsrate in der Bevölkerung ist auf 40 Prozent gefallen; historischer Tiefstand. Und ein zentrales Versprechen, das der Präsident gegeben hat, aber nicht halten kann, wird die Lage wohl noch weiter verschlechtern. Um die gewaltigen Vorbehalte gegen ein staatlich orchestriertes Gesundheitssystem zu zerstreuen, hatte Obama Bestandsschutz zugesichert: Wer (wie die überwiegende Mehrheit der Amerikaner) eine Krankenversicherung besitzt und damit glücklich ist, muss keine höheren Prämien fürchten - für den ändert sich nichts.

In Wahrheit haben Hunderttausende, manche Medien sprechen von Millionen, in den vergangenen Wochen von ihren Versicherungsgesellschaften die Kündigung zum 1. Januar 2014 erhalten. Grund: Alt-Policen entsprechen nicht mehr den künftigen gesetzlichen Standards.

Und: Gesellschaften wollen teure Kunden mit Vorbelastungen loswerden. Obama hatte diese missliche Begleitwirkung des Gesetzes bis vor wenigen Tagen geleugnet. Erst als die Medien-Welle immer größer wurde und täglich individuelle Fälle von Betroffenen in den Hauptnachrichtensendungen auftauchten, entschuldigte er sich vor laufender Kamera.

Konservative Kreise nennen den Präsidenten trotzdem unverhohlen einen Lügner. Selbst Altpräsident Bill Clinton, der für Barack Obama im Kampf um die Oberhoheit an den Stammtischen so manches Mal die Kartoffeln aus dem Feuer holte, drängt zur Korrektur: Versprochen ist versprochen. Nur wie umsetzen?

Im Weißen Hauses wächst nun die panische Furcht vor dem Scheitern. Bisher waren neben den knapp 50 Millionen Unversicherten viele Amerikaner miserabel oder zu teuer versichert. Durch das Management-Desaster der Regierung und Obamas falsche Versprechen sind sie es gar nicht mehr.

Obama hat den Hilferufen am Donnerstag Rechnung getragen und Asche aufs Haupt gestreut: "Wir haben den Start der Gesundheitsreform vergeigt." Gekündigte Krankenversicherungen sollen nun ein weiteres Jahr gelten, auch wenn sie nicht den Anforderungen des neuen Gesetzes gerecht werden.

Die finanziellen Auswirkungen dieses Teilrückziehers, der die öffentlichen Wutwellen bremsen soll, auf die Gesamtrechnung sind laut Experten noch nicht absehbar.

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