Opposition: Merkel nach Athen-Entscheidung beschädigt

Berlin · Nach dem Verfehlen der Kanzlermehrheit bei der Abstimmung des Bundestags über das zweite Griechenland-Hilfspaket sehen SPD und Grüne Kanzlerin Angela Merkel (CDU) schwer beschädigt.

 Bundeskanzlerin Merkel am Montag vor ihrer Regierungserklärung im Parlament. Foto: Tim Brakemeier

Bundeskanzlerin Merkel am Montag vor ihrer Regierungserklärung im Parlament. Foto: Tim Brakemeier

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"Merkel hat ihre Regierung nicht mehr im Griff", sagte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles der Nachrichtenagentur dpa. Sie verwies auf Äußerungen von Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), der vor der Abstimmung einen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone ins Spiel gebracht hatte. "Durch Leute wie Friedrich fühlen sich andere ermuntert. Friedrich macht Merkel die Kanzlermehrheit kaputt. Wenn sie Mumm hätte, würde sie ihn rauswerfen", sagte Nahles.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Fraktion, Volker Beck, sagte der dpa, erstmals habe Merkel die Kanzlermehrheit bei einer europapolitischen Entscheidung verfehlt. Dies wäre auch der Fall gewesen, wenn alle abwesenden Koalitionsabgeordneten sie unterstützt hätten. "Nach den Rüpeleien von FDP-Chef Philipp Rösler, dem offenen Widerspruch von Innenminister Hans-Peter Friedrich steht das Abstimmungsdebakel vom Montag in einer Reihe von Verfallserscheinungen der Koalition. Frau Merkel muss die Frage beantworten, in wessen Namen sie in Brüssel verhandelt."

Der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Volker Kauder sagte der "Bild"-Zeitung: "Auf die Kanzlermehrheit kam es überhaupt nicht an. Wir hatten eine deutliche eigene Mehrheit." Kauder betonte, die Koalition habe Handlungsfähigkeit bewiesen.

Der Bundestag hatte am Montagabend das zweite Rettungspaket für Griechenland zwar mit großer Mehrheit gebilligt. Schwarz-Gelb verfehlte aber die politisch-symbolisch wichtige Kanzlermehrheit von 311 Stimmen. Allerdings war die Koalition nicht auf die Opposition angewiesen, um das Hilfspaket durchzubringen, weil sie mit ihren 304 Ja-Stimmen zumindest eine eigene Mehrheit erreichte.

Es war das erste Mal, dass Union und FDP bei einer wichtigen Euro-Entscheidung die Kanzlermehrheit verfehlten. Der designierte FDP-Generalsekretär Patrick Döring gab der Union die Schuld dafür: "Wir sehen mit Sorge, dass die Zustimmung zum Euro-Kurs der Bundesregierung innerhalb der Unionsfraktion ganz offensichtlich kontinuierlich schwindet", sagte er dem "Tagesspiegel" (Dienstag).

Allerdings hatte es in der namentlichen Abstimmung auch 4 Nein-Stimmen und 1 Enthaltung von FDP-Abgeordneten gegeben. In der wesentlich größeren CDU/CSU-Fraktion wurden 13 Nein-Stimmen und 2 Enthaltungen gezählt.

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sagte dem "Tagesspiegel": "Der Zerfall der Koalition ist in vollem Gange. Inzwischen ist die Grenze zur Handlungsunfähigkeit erreicht." Nicht einmal das Kabinett folge der Kanzlerin mehr. "Merkels Autorität ist schwer beschädigt."

Der CSU-Europapolitiker Thomas Silberhorn, der gegen das Hilfspaket gestimmt hatte, riet Griechenland, zur Drachme zurückzukehren. "Den Griechen wäre besser geholfen, wenn sie die Euro-Zone verlassen", sagte er dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Innenminister Friedrich habe in seinen gleichlautenden Äußerungen vom Wochenende "nur zum Ausdruck gebracht, was vielen auf den Nägeln brennt".

Die Linke forderte eine "unabhängige juristische Überprüfung" des beschlossenen Rettungspakets. Fraktionsvize Ulrich Maurer sagte der "Leipziger Volkszeitung": "Ein so wichtiges Gesetz darf nicht von einem führungslosen Präsidialamt durchgewunken werden." Horst Seehofer (CSU) sei Vorsitzender einer Regierungspartei und amtierendes Staatsoberhaupt. "Da sind Zweifel an der Neutralität allemal angebracht."

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