Obama: Amerika muss gerechter werden

WASHINGTON · Im Fernsehen wirken die Bilder noch stärker als in der Wirklichkeit. "Wenn Sie mehr als eine Million Dollar im Jahr verdienen", sagt Barack Obama, "dann sollen sie nicht weniger als 30 Prozent Steuern zahlen." Der Kameraschwenk oben in die Loge von Präsidentengattin Michelle zeigt, dass Debbie Bosenak gerade vorsichtig nickt.

Dritte Rede an die Nation: Barack Obama.

Dritte Rede an die Nation: Barack Obama.

Foto: dpa

"Sie können das ruhig sooft Klassenkampf nennen wie Sie wollen", fährt Obama in Richtung seiner Kritiker im randvoll gefüllten Kapitol von Washington fort, "aber von einem Milliardär zu verlangen, zumindest so hohe Steuern zu zahlen wie seine Sekretärin, das würden die meisten Amerikaner nur gesunden Menschenverstand nennen." In diesem Augenblick nickt Bosanek heftig. Sie ist gemeint. Beispielhaft. Sie, die Sekretärin des Multi-Milliardärs Warren Buffett, der gegen seine Überzeugung weniger an den amerikanischen Fiskus entrichten muss als seine wichtigste Angestellte.

Die Szene aus der am späten Dienstagabend von über 50 Millionen Amerikanern an den Fernsehschirmen verfolgten "Rede zur Lage der Nation" steht sinnbildlich für die Kern-Botschaft, mit der Obama die Wahl am 6. November gewinnen und die Republikaner in die Knie zwingen will: soziale Gerechtigkeit. Ausgleich. Fairness.

Eine höhere Besteuerung von Millionären gehört ebenso dazu wie Hilfen für in der Immobilienkrise notleidende Hausbesitzer und passgenaue Wiedereingliederungsmaßnahmen für Arbeitslose. Die Abgrenzung zum politischen Gegner fiel Obama umso leichter, als am selben Tag öffentlich wurde, dass ein möglicher aussichtsreicher Herausforderer mit einem Mini-Steuersatz von 15 Prozent nicht mal die Hälfte von dem an den Staat überweist, was ein kleiner Angestellter zu schultern hat.

Mitt Romney, der Name fiel zwar kein einziges Mal, aber er war im Kapitol vollständig präsent. Barack Obama, der in den jüngsten Umfragen ganz zaghaft wieder Land gewinnt, kündigte abseits der großen Linien ungewohnt kleinteilig an, mit welchen Mitteln er das Land aus der wachsenden Depression holen will: Firmen, die Arbeitsplätze aus dem Ausland wieder nach Hause holen, sollen belohnt und Steuerschlupflöcher gestopft werden.

Den Universitätsbesuch will Obama mit günstigeren Krediten erleichtern. Nationale Energiereserven wie Gas oder Öl sollen umweltverträglich besser genutzt werden, um die Abhängigkeit von den arabischen Ländern zu senken. Eine neue Behörde soll gegen Handelspraktiken auf den Weltmärkten vorgehen, die Amerika (etwa durch China) benachteiligen.

Geld, das durch die Beendigung der Kriege im Irak und in Afghanistan frei wird, soll in "Nation-Building" in den USA eingesetzt werden; heißt: neue Straße, neue Hochgeschwindigkeitszüge, neues Datennetz. Um Finanzkriminalität einzudämmen, soll das Justizministerium eine Sondereinheit bilden.

Anders als bei Amtsantrit vor vier Jahren will der Hoffnungsträger von einst beim Vorantreiben seiner Politik nun nicht mehr hinnehmen, dass die oppositionellen Republikaner im Kongress nahezu alles blockieren.

"Ich habe vor, Obstruktion durch Aktion zu bekämpfen", sagte er an die Adresse der Amerikaner, die das fruchtlose Hickhack in Washington mittlerweile nur noch abstößt.

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