Werbegag oder Notwendigkeit NRW-Heimatministerin Scharrenbach über ihre künftigen Aufgaben

Seit dem Regierungswechsel im Sommer 2017 führt Ina Scharrenbach (CDU) das erste Heimatministerium in der Geschichte Nordrhein-Westfalens. Mit der Ministerin sprachen Bernd Eyermann, Raimund Neuß und Nils Rüdel.

 NRW-Heimatministerin Ina Scharrenbach.

NRW-Heimatministerin Ina Scharrenbach.

Foto: Benjamin Westhoff

In Nordrhein-Westfalen gibt es viele regionale Identitäten. Was wollen Sie denn mit einem Heimatministerium bezwecken?

Ina Scharrenbach: Wir wollen Heimat nicht von oben verordnen. Heimat wächst von unten. Wir lassen uns von dem Gedanken leiten, dass wir fördern wollen, was Menschen in unserer Gesellschaft miteinander verbindet. Deshalb definieren wir Heimat nicht. Heimat ist in einem Land wie Nordrhein-Westfalen ungeheuer vielfältig. Heimat ist ein offener Begriff und kein politischer Zustand.

Wie meinen Sie das?

Scharrenbach: Heimat sind unsichtbare Wurzeln, die jeder von uns in sich trägt, egal woher sie oder er her kommt oder hingeht. Je nachdem, woher Sie kommen, ob Sie aus Nordrhein-Westfalen stammen oder aus anderen Staaten hierhin gekommen sind – wir sind ein Einwanderungsland –, Sie bringen immer Heimat mit. Die kann auch ortsungebunden sein.

Geht es um die Förderung eines Landesheimatgefühls – wie zu Zeiten von Johannes Rau mit dem Slogan „Wir in NRW“ – oder wollen Sie zum Beispiel den Kölner in seiner Identität als Kölner stärken?

Scharrenbach: Es geht darum, das Verbindende in der Gesellschaft zu stärken, weil es genügend Personen gibt, die das Trennende suchen. Heimat hat viel mit Traditionen zu tun. Diese zu bewahren und nach vorne zu entwickeln. Darum geht es.

Können Sie das konkret machen?

Scharrenbach: Wir stellen fest, dass sich die Menschen vor Ort zunehmend damit beschäftigen, was ihre Identität ausmacht. Sie fragen sich: Was sind unsere Traditionen und wie können wir sie nach vorn entwickeln? Wir haben das beim Heimatkongress am 17. März in Münster aufgegriffen. Als Ministerium bieten wir den Menschen die Möglichkeit, sich zu vernetzen und gemeinsam an Lösungen zu arbeiten. Das unterstützt die Nordrhein-Westfalen-Koalition.

Hat es denn bisher an Förderung gefehlt? Die Landschaftsverbände kümmern sich doch seit Langem um Brauchtums- und Traditionspflege.

Scharrenbach: Oft fehlen tatsächlich nur ein paar Euro für die Umsetzung, wenn es zum Beispiel um ein Zeitzeugenprojekt mit Kindern und Jugendlichen geht oder um das lokalgeschichtliche Erbe einer Stadt. Daraus ist die Idee eines Heimat-Schecks entstanden: Pro Jahr werden 1000 Projekte mit jeweils 2000 Euro gefördert, um diesen Initiativen in ihrem vielfältigen Tun Rechnung zu tragen. Wir wollen auch einen Heimat-Preis stiften, mit dem nachahmenswerte Praxisbeispiele aus den Kommunen mit bis zu 15.000 Euro prämiert werden können.

Was hat das denn zu tun mit Ihrem Anspruch, das Verbindende in der Gesellschaft zu stärken?

Scharrenbach: Nehmen Sie den Plan der Heimat-Werkstatt. Vor dem Hintergrund, dass sich in vielen Stadtteilen Gesellschaft trennt, wollen wir vor Ort einen Diskussionsprozess anregen zwischen den Menschen. Wir wollen nicht fragen, was sie trennt, sondern was sie verbindet. Das ist in dieser Form völlig neu.

Wie sollen denn Zuwanderer hier heimisch werden und mit den hier Lebenden eine Gemeinschaft bilden?

Scharrenbach: Weil wir Heimat so offen definieren und sagen, es ist völlig egal, woher ein Mensch kommt, welche Hautfarbe und welche Religion er hat, gehören natürlich alle hier Lebenden dazu. Allein der Mensch zählt. Integration ist mehr als die Sprache zu lernen. Traditionen und Werte zu vermitteln, unsere Art hier in einem Wohlverhalten gegenüber dem Anderen zu leben, ist genauso wichtig.

Was halten Sie von der Äußerung des Bundesheimatministers Horst Seehofer, der Islam gehöre nicht zu Deutschland?

Scharrenbach: Wir suchen das Verbindende zwischen den Menschen, nicht das Trennende.

Bundeskanzlerin Angela Merkel war da deutlicher.

Scharrenbach: Uns geht es um das Verbindende.

Wie nehmen Sie die Rolle des deutsch-türkischen Moscheeverbandes Ditib wahr?

Scharrenbach: Wir wissen, dass türkische Konflikte auch in Nordrhein-Westfalen ausgetragen werden. Deshalb ist es ja so wichtig, das Verbindende in einer Gesellschaft zu suchen und deutlich zu machen, was wir unter einem Wohlverhalten auf Basis unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung verstehen.

Wann hat Ihre Heimatpolitik Erfolg gehabt?

Scharrenbach: Ich hoffe, dass es uns gelingt, mehr in den Fokus zu rücken, dass wir eine starke Bürgergesellschaft haben, die sich sehr aktiv um die Zukunft der eigenen Stadt, der Region und damit auch des Landes kümmert. Wir wollen das Positive in den Vordergrund bringen und in der Öffentlichkeit wegkommen von diesen Trennungsdebatten.

Viele junge Russland-Deutsche und Deutsch-Türken fremdeln mit dieser Gesellschaft. Was können Sie für diese Menschen tun?

Scharrenbach: Mir kommt es darauf an, das Verbindende zu suchen, zu finden und zu stärken und dafür Sorge zu tragen, dass sich diese Gesellschaft in Frieden und Freiheit auf demokratischen Grundwerten verbindet.

Machen Sie es konkret.

Scharrenbach: Wir haben ungeheuer viele positive Beispiele von jungen Menschen und Familien, die sich integriert haben. Die kommen in der Öffentlichkeit nur selten vor. Wir beschäftigen uns gerade damit, wie es uns gelingen kann, das sichtbar zu machen.

Wie integrieren Sie denn die bereits vorhandenen Förderwege?

Scharrenbach: Ab Sommer werden wir die Fördermöglichkeiten bekannt geben. Es wird dann ohne hohe bürokratische Hürden möglich werden, Geld zu bekommen. Heimataktiven wollen nicht lange Anträge schreiben, sondern Sinnvolles für die Bürger umsetzen.

Die Grünen sagen: Das Heimatministerium ist ein Werbegag – ist zuständig für alles und nichts. Was sagen Sie?

Scharrenbach: Das ist falsch.

Warum?

Scharrenbach: Wir sind zuständig für die kommunale Finanzausstattung und vergeben 11,7 Milliarden Euro an Städte und Gemeinden. Damit können Sie gut Heimatpolitik verbinden, denn es geht nicht immer nur im Ehrenamt. Manchmal müssen Sie auch Geld in die Hand nehmen. Städtebauförderung ist ein Beitrag zum Bau von Heimat. Wir unterstützen damit Mut und Kreativität in Städten, sich entwickeln zu wollen. Wohnungsbaupolitik ist gebaute Heimat.

Apropos Baupolitik: In den vergangenen Jahren sind immer weniger Wohnungen fertiggestellt worden. Wie wollen Sie angesichts des Wohnraummangels mehr Wohnraum initiieren?

Scharrenbach: Es muss mehr gebaut werden. Dazu wollen wir das Bauordnungsrecht modernisieren, weniger Stellplätze vorgeben, die digitale Baugenehmigung initiieren und mehr barrierefrei bauen. Mindestens vier Milliarden Euro wollen wir bis 2022 für den öffentlich-gefördertem Wohnungsbau ausgeben.

Wie viele neue Sozialwohnungen wollen Sie denn pro Jahr schaffen?

Scharrenbach: Eine Zahl zu nennen, wäre falsch. Wir haben eine bestimmte Summe zur Verfügung, aber die Kosten für eine Wohnung sind in den verschiedenen Regionen unterschiedlich hoch.

In manchen Teilen des Landes wie an der Oberen Sieg, in der Eifel, im Bergischen Land oder im Sauerland steht viel Wohnraum leer. An der Rheinschiene fehlt es daran. Ein Thema für die Heimatministerin?

Scharrenbach: Gemeinsam mit den Regionen, dem Verkehrsministerium, der Landesplanung und den Regionalplanern gucken wir, welche Potenziale sich für den einzelnen Raum bieten, welche Mobilitäts- und Siedlungsverknüpfung möglich ist. Auch das ist Heimatpolitik.

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