Kommentar zum Besuch Erdogans in Deutschland Nichts ist in Ordnung

Meinung | Berlin · Der Staatsbesuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ist für alle eine Herausforderung. Für den Bundespräsidenten, für die Kanzlerin, für Polizisten, Gegner, Anhänger - und Erdogan selbst. Und dennoch ist der Besuch wichtig.

 Ein Lächeln für die Kamera? Bundeskanzlerin Angela Merkel und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan gestern im Kanzleramt.

Ein Lächeln für die Kamera? Bundeskanzlerin Angela Merkel und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan gestern im Kanzleramt.

Foto: AP

Recep Tayyip Erdogan wollte, dass ihm in Deutschland der rote Teppich ausgerollt wird. Doch das gemeinsame Abschreiten einer Militärparade bedeutet eben noch lange keinen Gleichschritt in der Politik. Und das haben ihm Frank-Walter Steinmeier und Angela Merkel vor aller Augen klargemacht. Denn: nichts ist in Ordnung.

In der Türkei waren und sind deutsche Staatsbürger im Gefängnis. Türkische Journalisten, Gewerkschafter, Juristen, Intellektuelle sitzen aus politischen Gründen in Haft. Zehntausende haben ihre Arbeit verloren, weil sie als Unterstützer des Putsches eingestuft wurden. So entledigt sich der Erdogan-Staat unliebsamer Bürger – er ist weit von der EU entfernt.

Steinmeier hat den richtigen Ton getroffen: Wir können nicht zur Tagesordnung übergehen. Aber Verständigung funktioniert nicht ohne Verständnis und dies wiederum nicht ohne Austausch. Deshalb ist dieser Besuch von Erdogan wichtig. Auch, wenn seine Provokationen mit Monologen über den Putschversuch und seinem Verweis auf die angebliche Unabhängigkeit der Justiz und Rechtsstaatlichkeit in seinem Land, schwer erträglich sind. Merkel bescheinigt ihm „tiefgreifende Differenzen“. Insofern besteht die Wiederannäherung in schonungsloser Offenheit.

So wie aber die Türkei vor allem wirtschaftlich auf Europa angewiesen ist, brauchen Deutschland und Europa eine stabile Türkei und etwa deren Bündnistreue zur Nato an der gefährlichen Grenze zu Syrien. Dass es ein Treffen von Merkel, Erdogan und dem russischen sowie dem französischen Präsidenten Putin und Macron zum Syrienkrieg geben wird, ist eine gute Botschaft.

Ein Stachel im Fleisch für Erdogan wird der in der Türkei zu einer Haftstrafe verurteilte und im deutschen Exil lebende Journalist Can Dündar bleiben, der eigentlich in der Pressekonferenz eine Frage stellen wollte. Erdogan hatte aber ein Auslieferungsersuchen dabei. Dündar verzichtete auf eine Teilnahme. Das war klug. Denn so vermied er eine Eskalation, an deren Ende Erdogan die Pressekonferenz vermutlich boykottiert hätte und Merkel nicht dazu gekommen wäre, in seinem Beisein die Missstände anzusprechen.

Erdogan wäre jetzt gut beraten, wenn er am Samstag bei der Eröffnung der Zentralmoschee der umstrittenen Türkisch-Islamischen Union Ditib in Köln-Ehrenfeld auf Provokationen und Spaltung der in Deutschland lebenden rund drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln verzichten würde. Das könnte zumindest die Zeit verkürzen bis man wieder zur Tagesordnung übergehen kann.

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