NSU-Mordserie Mutmaßungen über "Primus"

Berlin · Jetzt ist "Primus" gefragt. Beziehungsweise der Beamte, der den Mann mit Decknamen "Primus" beim Verfassungsschutz geführt hat. Denn "Primus" haben Spezialisten des Bundeskriminalamtes schon befragt. Sie sind ihm nach Informationen der "Süddeutschen Zeitung" an seinen heutigen Wohnsitz in Chur in der Schweiz nachgereist.

 Kein Platz für türkische Medien: Sitzungssaal für den NSU-Prozess in München.

Kein Platz für türkische Medien: Sitzungssaal für den NSU-Prozess in München.

Foto: dpa

111 Fragen. Die Einvernahme habe fünf Stunden gedauert. "Primus", der von 1992 bis kurz nach der Jahrtausendwende V-Mann des Verfassungsschutzes in der sächsischen Neonazi-Szene war, bleibt auch nach seinen Antworten weiter Zeuge und wird nicht zum Beschuldigten.

Für die Mitglieder des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages könnte "Primus" zu einem zentralen Zeugen bei der Aufklärung der Hintergründe jener zehn Morde werden, die dem rechtsextremen "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) zur Last gelegt werden. Die SPD-Obfrau im NSU-Ausschuss, Eva Högl, will dabei unter anderem klären, inwieweit der Verfassungsschutz "Primus" genutzt habe, um die untergetauchten Mitglieder der Zwickauer Terrorzelle zu finden.

"Sollte dies nicht in ausreichendem Maße geschehen sein, fragt sich natürlich: warum?", so Högl. Nach Informationen des Blattes könnte "Primus" den mutmaßlichen Rechtsterroristen womöglich beim Anmieten von Autos geholfen haben. Die NSU-Mitglieder waren in aller Regel mit angemieteten Fahrzeugen zu ihren Tatorten gefahren.

"Primus" war in der Neonazi-Szene in Sachsen gut eingeführt. Er hatte wie die mutmaßlichen Rechtsterroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe jahrelang in Zwickau gelebt. In der sächsischen Stadt betrieb er einen Laden, in dem er Bomberjacken und Springerstiefel verkaufte. Gleichzeitig schrieb er auch Berichte für den Verfassungsschutz.

Nach Informationen des "Spiegels" sind Ermittler bei der Suche nach Helfern des NSU auf einen langjährigen Rechtsextremisten gestoßen. Und siehe da, der Mann hatte einen Decknamen: "Primus". Die Beamten fanden seinen Klarnamen in Unterlagen einer Zwickauer Autovermietung.

Demnach gibt es zeitliche Überschneidungen zwischen den Auto-Mietverträgen und zwei dem NSU zugeschriebenen Morden im Juni und August 2001 in Nürnberg und München. "Primus" bestreitet seine Beteiligung. Die BKA-Beamten wollten von dem Ex-V-Mann bei dessen Einvernahme in der Schweiz wissen, ob er die Autos, die er im Juni und August 2001 gemietet hatte, "dritten Personen" überlassen habe. Seine Antwort: "Nein, meines Wissens nicht", zitiert die "Süddeutsche" aus dem BKA-Befragungsprotokoll.

Auch der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses, Sebastian Edathy (SPD), erwartet weitere Erkenntnisse über V-Leute. "Ich bin ziemlich sicher, dass wir noch nicht von allen V-Leuten im Umfeld des NSU-Trios wissen, dass sie V-Leute waren", sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Auf der jüngsten Liste der Sicherheitsbehörden mit 129 Namen seien einige Personen hinzugekommen, bei denen noch geprüft werden müsse, ob sie nicht Täterwissen hatten oder ob sie V-Leute waren.

Unterdessen hat sich der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu direkt in die Debatte über die Vergabe von Plätzen an Medienvertreter im bevorstehenden NSU-Prozess eingeschaltet. Davutoglu telefonierte mit Bundesaußenminister Guido Westerwelle und äußerte dabei die Erwartung, dass auch türkische Medien den Prozessauftakt direkt verfolgen können. Bislang sind 50 Medien zugelassen, darunter kein türkisches.

Der Prozess sorgt in der Türkei für großes Aufsehen. Acht der zehn NSU-Mordopfer waren türkisch oder türkischstämmig. Der Prozess gegen die mutmaßliche Rechtsterroristin Zschäpe sowie vier mutmaßliche Helfer beginnt am 17. April vor dem Oberlandesgericht München. "Primus" soll mit André E., einem der Angeklagten im NSU-Prozess, bekannt gewesen sein, ebenso mit den Beschuldigten Jan W. und Thomas S.

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