Kanzlerin gegen CDU-Doppelpass-Beschluss Merkels Paukenschlag zum Abschluss

Essen · Bundeskanzlerin Angela Merkel riskiert in der Ausländerpolitik einen Konflikt mit dem konservativen Flügel ihrer Partei.Trotz Parteitagsbeschluss hält sie an Regelung zum Doppelpass fest.

 Hymne zum Abschluss: Die CDU-Führung stimmt auf dem Parteitag das Deutschlandlied an.

Hymne zum Abschluss: Die CDU-Führung stimmt auf dem Parteitag das Deutschlandlied an.

Foto: AP

Orientierung in schwierigen Zeiten? Das kann bis hinauf auf die Winklmoosalm reichen. Mit den Mitteln der neuen Zeit. Wenn Angela Merkel mit dem Leitantrag des CDU-Parteitages „Orientierung in schwierigen Zeiten“ bietet und dafür einige Exemplare auf Papier auch in abgelegene Winkel der Republik zustellen wollte, könnte sie dafür die Drohne eines deutschen Paketdienstleisters beauftragen. Zwei bis drei Kilo Fracht schafft das Fluggerät im Versuch, das für den Weg vom Tal hoch auf die Winklmoosalm eine bergige Zustellung ersetzen kann. Alles noch ausbaufähig, wie die CDU-Vorsitzende beim Ausstellerrundgang am Rande des Parteitages in Essen erfährt. Aber auch Merkels Ergebnis ihrer Wiederwahl oder das Verhältnis zur Schwesterpartei CSU ist ausbaufähig, weiß die CDU-Chefin.

An Tag zwei dieses Bundesparteitages muss sie aber erst einmal den Leitantrag durchbringen. Merkel ahnt: An irgendeiner Stelle sucht sich die manchmal etwas störrische Basis häufig ein Ventil. Und so ist es auch dieses Mal in Essen, was später in Berlin den Koalitionspartner SPD flugs und einigermaßen entrüstet auf den Plan ruft. Aber zunächst ist der Leitantrag in einigen zentralen Punkten so formuliert, dass er auch die CSU-Granden in München zufriedenstellen könnte, ihnen vielleicht sogar gefällt.

So stimmt der Parteitag einem Antrag der Jungen Union (JU) zu, die fordert, Artikel 22 des Grundgesetzes um folgenden Punkt zu erweitern: „Die Sprache der Bundesrepublik Deutschland ist Deutsch.“ Parteitagsbeschlüsse stehen noch lange nicht für ein Regierungsprogramm, aber nun hat die Bundestagsfraktion von CDU/CSU den Auftrag der Delegierten noch einmal schriftlich. Denn: Die Forderung nach Deutsch ins Grundgesetz war bereits Beschlusslage der CDU, aber jetzt soll sich die Fraktion endlich dafür einsetzen.

Doch dann wird es spannend. Der Parteitag diskutiert über einen weiteren JU-Antrag: Wiedereinführung der Optionspflicht und somit Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft. Das Thema ist so heiß, dass umgehend Bundesinnenminister Thomas de Maizière ans Mikrofon eilt. „Wahr ist, die CDU ist gegen die doppelte Staatsbürgerschaft als Regelfall, und dies soll auch so bleiben.“ De Maizière wirbt aber dafür, den mit dem Koalitionspartner SPD gefundenen Kompromiss nicht aufzukündigen. Und auch Generalsekretär Peter Tauber spricht gegen den JU-Antrag: „Ich bin in der Sache der Überzeugung, dass man von jedem, der hier lebt, verlangen kann, sich zu diesem Land zu bekennen.“ Aber es gehe um eine „Herzensentscheidung“, die man „nicht durch Zwang“ erreichen könne. Deswegen: Beibehaltung der Chance auf doppelte Staatsbürgerschaft. Doch der Parteitag entscheidet anders und stimmt mit knapper Mehrheit gegen den Vorstand und für die sogenannte Optionspflicht, nach der sich in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern für eine Staatsbürgerschaft entscheiden müssen.

Für Merkel nimmt damit der Druck in der Koalition zu: Die SPD wird auf dem Kompromiss zum Doppelpass bestehen, die CSU wiederum wird das CDU-Votum für die Wiedereinführung der Optionspflicht begrüßen. Die SPD meldet sich sofort. Justizminister Heiko Maas (SPD) betont, der CDU-Beschluss sei „eine Misstrauenserklärung gegen die weit überwiegende Mehrheit der Doppelstaatler, die voll hinter unserem Grundgesetz steht“. Auch SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel ist bedient. Die CDU lege mit ihrem Beschluss „die Axt an die Integrationserfolge der letzten Jahre“. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann warnt: „Das wäre ein klarer Verstoß gegen den Koalitionsvertrag.“ SPD-Vize Aydan Özoguz äußert sich enttäuscht: „Auf der Suche nach dem verlorenen Markenkern opfert die CDU wichtige Integrationserfolge.“ Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel stellt klar: „Das ist ein schlimmer ⋌Beschluss.“

Während die SPD also in Berlin gegen den Bruch einer Verabredung des Koalitionsvertrages mobil macht, stellt Merkel nach Ende des Parteitages klar: Sie halte den Beschluss zur Wiedereinführung der Optionspflicht persönlich für falsch. Und es werde in dieser Legislaturperiode dazu auch keine Änderung geben. Auch einen Wahlkampf über den Doppelpass, wie es die Union früher gemacht habe, werde es nicht geben. Thema durch. Zuvor schon hatte Unionsfraktionschef Volker Kauder versucht, die Delegierten auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Kauder mahnte, ein Parteitagsbeschluss werde nicht gleich Gesetz, könnte aber in einem Wahlprogramm stehen. Die Partei möge bitte verstehen.

Jedenfalls verstehen die Delegierten einen Antrag zum Verbot der Vollverschleierung in Deutschland, wonach die Burka zumindest teilweise untersagt werden soll. Allerdings riskiert die CDU in der Endfassung nur noch eine sehr allgemeine Erklärung: „Deshalb lehnen wir die Vollverschleierung ab. Wir wollen sie unter Ausschöpfung des rechtlich Möglichen ebenso verbieten wie die Eheschließung mit Minderjährigen.“

Merkel hat dann, siehe „Orientierung in schwierigen Zeiten“, schon das kommende Jahr mit Landtagswahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein und in NRW sowie die Bundestagswahl im Blick. „Wir sind eine Volkspartei.“ Als solche wolle man „Angebote für alle“ machen. Im Zweifel bis hoch auf die Winklmoosalm.

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