Kommentar zum EU-Türkei-Gipfel Merkels Deal

Meinung | Brüssel · Die europäischen Staatenlenker feiern den Deal mit der Türkei als Erfolg. Doch noch stehen die Beschlüsse nur auf dem Papier. Und an den Fluchtgründen ändern sie auch nichts.

Es gibt keinen Grund, sich nach diesem Deal der Europäer mit der Türkei erleichtert zurückzulehnen. Nicht einmal der aus Angst vor einem letzten Ansturm geborene kurzfristige Termin für den Beginn der Zurückweisung von Flüchtlingen in der Sonntagnacht kann zufriedenstellen. Weil das, was da jetzt als Lösung vom europäischen Gipfel beschlossen wurde, nur auf dem Papier funktioniert. Die EU-Vertreter haben ihre Zweifel und Bedenken zurückgestellt, ihre Aversionen gegen das Bündnis mit einem Regime, das vor allem durch seine Menschenrechtsverstöße von sich reden macht, bis zur Selbstverleugnung unterdrückt. Weil die 28 Mitgliedstaaten eine Lösung wollten, weil für die Flüchtlinge selbst die Zustände unhaltbar geworden sind, weil es mangels Solidarität der Mitgliedstaaten untereinander und füreinander keinen anderen Weg gab.

Die Bundeskanzlerin kann sich freuen, ihr Konzept ist aufgegangen. Schon reden die europäischen Staatenlenker davon, ähnliche Vereinbarungen auch mit dem Libanon und Jordanien zu treffen. Wer noch vor Kurzem über die geschlossene Balkanroute schimpfte, stimmte nun dafür, genau dieses Modell auf alle anderen Fluchtwege zu übertragen – vermutlich in der stillen Hoffnungen, dass wenigstens Idomeni ein Einzelfall bleibt. Doch genau das ist das Problem. So lange die Waffen in Syrien nicht dauerhaft schweigen, solange die Terrormiliz Islamischer Staat weiter mit menschenverachtender Brutalität ihre Herrschaft verteidigt – so lange werden, ja müssen Menschen fliehen. Aber sie treffen nunmehr auf die „Festung Europa“. Idomeni wird sich wiederholen.

Dabei hat die EU viel getan, um die Türkei an die Kette europäischer Werte zu legen, von Ankara die Einhaltung aller nur denkbaren humanitären Standards zu verlangen. Premierminister Ahmet Davutoglu unterschrieb diese Zusage, ob Präsident Recep Tayyip Erdogan sich diesen Verpflichtungen genauso unterwirft, kann heute noch niemand wissen. Befürchtungen sind angebracht, aber auch Hoffnungen. Denn nicht nur die EU hat bekommen, was sie wollte, sondern auch die Türkei.

Angela Merkel hat auf diesen Pakt gesetzt – ausgerechnet die Bundeskanzlerin, die die Türkei stets auf Distanz halten wollte und anstelle einer Vollmitgliedschaft lediglich eine privilegierte Partnerschaft anstrebte. Auch die Renaissance des von der Kanzlerin selbst für tot erklärten Dublin-II-Abkommens gehört zum Kern dieses Deals: Um die Außengrenzen der EU zu schützen, müssen die an den Außengrenzen liegenden Staaten illegale Zuwanderung durch lückenlose Kontrolle abwehren. Sie sind verantwortlich und dürfen nicht durchwinken. Das ist zwar richtig, bedeutet aber vor allem einen fulminanten Salto rückwärts zu ihrer Position vom vergangenen Herbst, wo sie zum Durchwinken einlud. Jetzt hat sie an der Sicherung des Bollwerks Europa mitgewirkt.

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